Quer durch Galerien
Damit niemand am Daumen lutscht
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"Lebensbaum" von Robert Zeppel-Sperl. Galerie Gerersdorfer
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Eva (oder eine andere) reitet durchs Paradies: Sieht das Reittier nicht ein bissl dem Zeppel-Sperl ähnlich? Galerie Gerersdorfer
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Ein mythischer Zweikampf: Da stellen sich ein paar brav an, um von der
personifizierten Schwellenangst (einem Ringer, bestellt von Manfred
Grübl) überwältigt zu werden. Galerie Feichtner
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Von Claudia Aigner
Ich dürfte jetzt endlich dahintergekommen sein, weshalb es bei
Vernissagen immer ein Büffet geben muss. Weil die Leute sonst wohl oder
übel Daumen lutschen müssten, um sich symbolisch zu säugen. Und ihre
tief verwurzelte, oft unbewusste Angst vor der Kunst auf diese Weise
abzubauen. Der typische Vernissagebesucher benimmt sich nämlich
instinktiv wie ein balzender Wiedehopf. Denn es kostet ihn in etwa
gleich viel Überwindung, eine Galerie zu betreten, wie den Vogel, sich
dem andern Geschlecht mit eindeutigen Absichten zu nähern.
Der Wiedehopf macht sich in dieser seiner Stresssituation namens Balz ja auch
um eine Generation jünger und imitiert einen futterbettelnden
Jungvogel, was sogleich zu einem Brutpflegeverhalten beim Sexualpartner
führt, zum so genannten Balzfüttern, und dessen etwaige feindliche
Einstellung reduziert. Ein Beschwichtigungsverhalten: Bekunden von
kindlichem, also harmlosem Appetit.
Der Vernissagebesucher wiederum macht einen hilflosen, hungrigen
Säugling nach, der gerade seine Bestellung bei der Mama aufgibt.
Eventuell reißt er schon beim Betreten der Galerie den Mund auf, um bei
den Veranstaltern der insgeheim gefürchteten Kunst, bei den Galeristen
und Künstlern, elterliche Gefühle zu erregen. Dann gibt man ihm zwar
nicht das Milchfläschchen oder einen beruhigenden Schnuller, aber
immerhin ein Brötchen und das Weinfläschchen.
Oder ist es genau umgekehrt und füllt man die wilden Horden, von der
eine Galerie am Eröffnungsabend überrannt wird, so lange ab, bis sie
friedlich sind wie der böse Wolf mit den Wackersteinen im Bauch? Und
plündert der Vernissagegast das Büffet aus dem selben Grund, weshalb
der Storch klappert, wenn dieser im Nest landet und seinen
Nestmitbewohnern mitteilen will, dass er ihnen eh nichts Böses will,
sondern selbstgenügsam musiziert und wohl pfeifen würde, wenn er ein
Mensch wäre und Lippen hätte? Bezeugt der demonstrativ mampfende
Galeriebesucher, dass er gutartig ist und kein Kunstbanause mit
ikonoklastischen Intentionen?
Manfred Grübl hat seine Ausstellung bei Lukas Feichtner
(Seilerstätte 19, bis 18. Juni) noch zusätzlich mit ritueller
Gastfeindschaft beginnen lassen. Mit einer Sonderform der sozialen
Körperpflege. Statt gemeinschaftsstiftender Entlausung wie bei den
Affen: soziale Chiropraktik (oder Wirbelsäulengymnastik). Ein Ringer
mit einem Oberkörper des Grauens (fürchterlich tätowiert) hat die
potenziellen Rückenprobleme aller Eintretenden mit einem Schulterwurf
oder ähnlichen Bewegungsabläufen k.o. gehauen. Die Rückenschmerzen
mussten mitsamt dem Vernissagebesucher wehrlos unterliegen (das gebot
schon die Höflichkeit) und sich dann ohne Aufsehen von der kniehohen,
weichen Matte machen.
Lukas-Feichtner-Galerie: Die Angst vor der Türschwelle
Der Ringer war eindeutig die personifizierte Schwellenangst (die
Angst vor der Türschwelle), der man sich stellen muss und von der man
dann überwältigt wird in dieser durchaus originellen
Konfrontationstherapie (wie jemand, der einen Waschzwang hat, von
dieser gewissen therapeutischen Spezialseife bezwungen wird, von der
"Dirty Hand Soap", die außen ganz hygienisch weiß aussieht, aber beim
Händewaschen Pfui absondert, kurz: Dreck).
Eine ganze Palette von Demutsgesten dient bekanntlich dazu,
stärkere, zornige oder einfach nur dominante Personen innerhalb einer
Gesellschaft zu besänftigen. Und da werden Zweikämpfe eben nicht immer
mit voller Wucht ausgetragen. Wie mit jenem uns überlegenen
Artgenossen, mit dem wir uns symbolisch um ein Blatt Papier balgen wie
zwei Verliebte um ein Soletti-Stangerl oder eine Spaghetti-Nudel. Und
beide Teile des praktischerweise perforierten Papierls tragen dieselbe
Inschrift. "Ich hab dich lieb"? Nein: "Saal 8" oder: "Reihe 15, Platz
3." Die Eintrittskarte dient folglich dazu, die Aggressivität des
Billeteurs auf ein Minimum zu verringern.
Grübl hat auch eine Anti-Tarnkleidung entwickelt, so etwas wie eine
Notrufkleidung. Schaut aus wie ein stinknormaler Regenschutz, alarmiert
aber ohne Zuhilfenahme eines Telefons die Polizei, die den Träger
bereits nach vier Minuten hilfsbereit – entfernt. Allerdings nur, wenn
man das Ding auf dem Roten Platz in Moskau trägt. Das Vergehen von
Grübl und seinen Freunden war möglicherweise "unerlaubtes Tragen von
Regenmänteln bei Schönwetter" oder "versuchtes Wohnen in
Regenkleidung", zumal man den grellorangen Mantel in ein Zelt
umfunktionieren kann. Mäntel und Fotos der "4 Minuten Demo", die die
Freiheit im heutigen Russland auf die Probe stellte, hängen im Keller.
Grübls Stärke sind penibel vorbereitete schlichte Interventionen,
großzügig geistreich und mit einprägsamer Wirkung. Etwa seine dezent
narzisstischen Selbsteinladungen in fremde Vernissagen, wenn er in der
Saatchi Gallery in London oder in der Wiener Secession ein paar schwarz
gekleidete Menschen, die nicht sprechen, nicht aufs Klo gehen und sich
nicht kratzen durften und gegen Witze resistent sein mussten, einfach
mitten im Tratschen und Jausnen, das einem ganz andern Künstler galt,
abgestellt hat.
In Amerika würden seine apathischen Akteure ja sofort von der
kompletten Nationalgarde umstellt und zu Boden gerissen werden, bevor
man ihnen sicherheitshalber ihre Hosentaschen abnähme, also großräumig
ausschneide (Koffer haben sie ja nie welche dabei). Die leeren
Hosensäcke würde man dann röntgen und nachher prophylaktisch in die
Luft sprengen.
Galerie Gerersdorfer: Dekolletees der Glückseligkeit
Die Menschen dort sind so unwiderlegbar rosarot, die müssen die Essgewohnheiten der Flamingos haben. Die färben sich ja auch
selber ein. Indem sie stark karotinhältige Algen verspeisen.
Andererseits: Menschliche Säuglinge, die von Karotten gesäugt werden,
also viel Karottensaft trinken, bekommen einen orangen, freilich nicht
weniger optimistischen Teint. Egal.
Robert Zeppel-Sperl ist (seit kurzem muss man ja sagen: war) einer,
der sich in seinen imposant dekorativen Bildern ein Paradies
eingerichtet hat: mit viel Grün und viel Bunt. Glückselige Dekolletees
wohnen da und er selbst natürlich. Prächtige Kostüme akzentuieren die
Nacktheit. Und überall glotzt eine offensiv naive Erotik mit großen
Augen und ohne zu blinzeln heraus, der sogar ich, obwohl ich mich mit
meinem ganzen Geschmack heftig dagegen wehre, nicht immer widerstehen
kann. Die Galerie Gerersdorfer (Währinger Straße 12) erinnert sich noch
bis 28. Mai an Zeppel-Sperl, der nach seinem Tod in die lebendige Natur
und nicht in einen stickigen Friedhof eingegangen ist und dessen Asche
sich im balinesischen Meerwasser zwar nicht aufgelöst haben wird wie
Kakao in der Milch, aber er ist so immerhin Teil einer
Landschaftsidylle geworden.
Freitag, 20. Mai 2005