Salzburger Nachrichten am 29. Juni 2006 - Bereich: Kultur
Außenwelt für Innenwelt Die Gugginger Künstler
erhalten das weltgrößte Museum für Art brut. Die erste Ausstellung zeigt
Kunstwerke aus vier Jahrzehnten.
ERNST P. STROBLMARIA GUGGING (SN). Die bunt bemalten Sitzbänke geben
einen dezenten Hinweis, ansonsten ist das neue Museum Gugging sachlich
weiß gehalten, ein Wintergarten bildet das helle Entree. Drinnen wird es
aber farbenprächtig. Auf 1300 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden ab
morgen, Freitag, bis 14. Jänner 2007 die Werke der berühmtesten Gugginger
Patienten und Künstler präsentiert. Seit Jean Dubuffet, der "Erfinder" der Art brut, die Gugginger als
Künstler anerkannt hat, ist es Kunst, was hier entsteht. Und nicht nur
das: Mittlerweile sind die Gugginger weltberühmt, über 200 Ausstellungen
präsentierten die Werke nahezu weltweit. Das neue Art- brut-Center soll
dem Rechnung tragen und "ein Qualitätssiegel für die ausgestellten
Künstler werden, so wie das MOMA New York für die Klassische Moderne eines
darstellt", so der ehrgeizige Plan des Arztes und Künstlers Johann
Feilacher, Leiter des Museums sowie des Hauses der Künstler in
Gugging. Der Anfang ist gemacht: Unter dem Titel "Blug" - so heißt ein Werk von
Franz Kernbeis - werden rund 400 Werke von den "Stars" wie Johann Hauser,
August Walla und dem heute 86-jährigen Johann Tschirtner gezeigt sowie
Werke der heute im "Haus der Künstler" lebenden Johann Fischer, Johann
Garber, Franz Kernbeis, Johann Korec, Heinrich Reisenbauer, Arnold
Schmidt, Günther Schützenhofer und Karl Vondal. Ein Drittel davon stammt
aus der Sammlung der gemeinnützigen Privatstiftung, der überwiegende Teil
sind Leihgaben von Museen und Sammlern. Begonnen hatte die Geschichte in den 70er Jahren, als der Psychiater
Leo Navratil in der Hoffnung, mehr über seine Patienten zu erfahren, sich
für deren Zeichnungen interessierte. Nach einer Aufsehen erregenden
Ausstellung in der Galerie nächst St. Stephan brachte Navratil 1981 seine
künstlerisch begabten Patienten im Zentrum für Kunst-Psychotherapie
zusammen und organisierte Ausstellungen in ganz Europa. Navratils Nachfolger, Johann Feilacher, gab 1986 dem Pavillon den Namen
"Haus der Künstler", sah also nicht mehr die Therapie als eigentliches
Ziel, sondern stellte das künstlerische Talent in den Mittelpunkt. Seit 2000 hat sich das Haus der Künstler von der Klinik losgelöst und
ist autonom geworden. Heute leben zwölf Männer im Haus und finden im nur
150 Meter entfernten offenen Atelier als Teil des Art-brut-Centers helle
Arbeitsbedingungen vor. Im Mezzanin befindet sich die Galerie der
Künstler, wo man auch Werke kaufen kann. Nina Katschnig leitet diese
Galerie. "Man sollte von den romantischen Wahn-Vorstellungen und
Genie-Bedürfnissen Abstand nehmen, dann kann man der Eigentlichkeit des
Themas Gugging näher rücken und die Kunst ohne die Schwerkraft der
Biografie wahrnehmen", sagt Nina Katschnig. Ob Karl Vondals Zeichnungen,
die mit eng beschriebenen Blättern dem Thema Frau nachspüren, oder die
Tierwelt von Josef Bachler und Johann Fischer oder Rudolf Limberger, der
mit Bleistift und Wachskreide Arnulf Rainer nahe kommt - es ist ein
sehenswertes Museum, das mit seiner Kunst gefangen nimmt und mitunter
berührt. Es soll durchaus auch touristisch genützt werden, neben
Atelierplätzen und Workshops laden eine "Villa" für Veranstaltungen und
natürlich die Gegend zum Ausflug für die ganze Familie.Information:
www.gugging.org |