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Marilyn Mansons Aquarelle: Ganz lieber Schockrocker

29.06.2010 | 18:39 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Ausstellung im Project Space der Kunsthalle auf dem Karlsplatz: Es sind zarte Aquarelle mit schweren Rahmen, die der groteske Berufsprovokateur der Popmusik herstellt. Mit bösen Inhalten natürlich.

So etwas könnte sich ein bildender Künstler nicht erlauben, nicht einmal Superstar Damien Hirst – für einen Popstar der mittleren Kategorie gilt eine einstündige Verspätung aber wohl als mindeste Glamour-Verheißung. Also wartete man Montagnachmittag im Project Space der Kunsthalle auf dem Karlsplatz. Geduldig im Abgedunkelten. Und zählte derweil die nervösen Kamerateams. Mindestens zehn waren es, die sich gemeinsam mit den Fotografen auch tatsächlich ein klischeehaftes Handgemenge lieferten, als Marilyn Manson an der Seite von Kunsthallen-Direktor Gerald Matt über die Hintertür eintrat. Um gleich darauf wieder in einem Kämmerchen zu verschwinden. Vielleicht saß der Lippenstift ja noch zu perfekt.

Als er dann doch auf die bescheidene Bühne der bildenden Kunst trat, war jedenfalls alles in gewohnt schauriger Unordnung, die Lippen verschwommen rot, das Gesicht fahl, die Augen von Fliegerbrillen geschützt. Kokett strich er sich im andauernden Blitzlicht mit der Hand die glatte Haarsträhne noch glatter, spitzte aufreizend die Lippen, zeigte mit dem Zeigefinger ins freundliche Journalistenvölkchen, kaute versonnen an seinen Knöcheln, schlicht, er flirtete androgyn und sah dabei ein bisschen aus wie Nicolas Cage, der in „Wild at Heart“ zu wild, zu herzlos getanzt hat.

 

Leichen in Pastell

Der Bezug zu Regisseur David Lynch ist kein Zufall, seine frühen Kurzfilme laufen im Hintergrund der Kunsthalle. Bei Marilyn Manson ist es an diesem heißen Montagnachmittag allerdings keine „Schlangenlederjacke“, die er als „Symbol meiner Individualität und meines Glaubens an die persönliche Freiheit“ preist. Nein, es sind zarte Aquarelle mit schweren Rahmen, die der groteske Berufsprovokateur der Popmusik herstellt. In den frühen Morgenstunden. Mit bösen Inhalten natürlich. Zerstückelte Leichen aus historischen US-Kriminalfällen in weichwaschenden Pastellfarben. Das ist er dem gepflegten Widerspruch, den er im Namen führt (Sexsymbol Marilyn und Massenmörder Manson) zumindest schuldig.

Der Aufenthalt in dieser Twilight-Zone ist es auch, der für Gerald Matt die Faszination Mansons als Maler ausmacht. Ganz sicher wirkt er dabei allerdings trotzdem nicht, er sichert sich in seiner Einleitung mit gleich zwei Kunstinstanzen ab – dem Chef-Kurator des MoMA New York, der sich einmal mit ihm eine Marilyn-Manson-Ausstellung angesehen hat. Und eine (vielleicht) anwesende Kuratorendelegation der Tate Modern London, die gerade für eine Ausstellung über Alice im Wunderland recherchiert.

Hoffentlich orientiert sie sich an Marilyn Mansons älteren Bildern, die teils mit gelungener Bildeinteilung und der glaubwürdigen Spannung zwischen Horror des Inhalts und Harmonie der Technik überzeugen. Stilistisch wirkt das Ganze wie eine Fusion der Drogenträume von Marlene Dumas, Matthew Barney und Emil Nolde. Gar nicht einmal so übel. Den drei jüngsten, extra für die Ausstellung entstandenen Werken sieht man aber die vom Künstler eingestandene, vorangehende künstlerische Pause an: ein kleines, einsames Herz im Wasserfarbengeschwader. Oder ein größeres, blutendes daneben. Das sieht dann doch eher nach der Hobbymalerei aus, die Manson vermeiden möchte, wie er betont: „Ich möchte Musik und Kunst völlig trennen, das ergibt auch keinen Sinn zusammen.“

Deshalb sei diese Ausstellung auch so wichtig für ihn, in Wien, einer Stadt, in der so große Künstler wie der von ihm verehrte Egon Schiele wirkten. Die „schräge Schönheit“, die Schiele bei seinen „Porträts der Sexualität“ erfand, seien sicher ein unbewusster Einfluss auf ihn, den ehemaligen Zögling einer christlichen Schule, der nur Leonardo da Vinci kannte, gewesen, meinte er. Prägender für seine Ästhetik, zählt er bereitwillig auf, waren aber David Lynchs Film „Blue Velvet“, der Surrealismus und noch ein Österreicher – Gottfried Helnwein, der ihn zur Kunst überhaupt erst ermutigte.


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