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Kunstberichte
Die Generali Foundation widmet sich mit der Ausstellung "Hinter der vierten Wand" gelebten Fiktionen

Das Theater der Manipulationen

Verfremdete
 Texte: Installationsansicht von Omer Fasts "A Tank 
Translated" (2002). Foto: Laubscher, Arratia

Verfremdete Texte: Installationsansicht von Omer Fasts "A Tank Translated" (2002). Foto: Laubscher, Arratia

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer


Heute ist die Realität nicht mehr einfach nur ein zwiespältiges Thema, wir müssen viele Wirklichkeiten unterscheiden. So wie schon Sigmund Freud von einer immer wieder anders zu schreibenden Geschichte sprach.

Die Ausstellung "Hinter der vierten Wand. Fiktive Leben – gelebte Fiktionen" fragt nun in der Generali Foundation nach der Bestimmung einer Bühne für theatrale Performanz in der Gegenwartskunst. Sein und Schein sind vor allem seit den ausgehenden 60er Jahren mit den Terrain gewinnenden neuen Medien – Fotografie und Video – selbstreflexive und damit zentrale Themen der Kunst: Die drei präsentierten historischen Positionen von Harun Farocki, Allen Sekula und Ian Wallace aus der Generali-Sammlung sind zwischen 1973 und 1983 entstanden.

Klischeehafter Blick auf die Armut

Kuratorin Ilse Lafer knüpft an ein historisches Modell des Theaters im 18. Jahrhundert an, das Denis Diderot erfand. Die Paradefigur der Aufklärung spricht von der "vierten Wand", die Zuschauerraum und Bühne imaginär trennt. Theater war für ihn die Konfrontation der realen mit der inszenierten Welt. Mit dem Bewusstsein darüber wollte er – mit anderen Mitteln als später Bert Brecht – den Illusionismus des passiv wahrnehmenden Publikums erschüttern und den distanzierenden Spiegel erfahrbar machen. Spiegelfiktionen wie die eines dubiosen Doppelgängers beschäftigten im 19. Jahrhundert die Romantik. In der aktuellen Kunst sind die Spiegelungen vielfach gebrochen.

Allen Sekula bietet uns den Regieplatz mit drei roten Stühlen an und macht sich selber zum distanzierten Erzähler wie in Bertolt Brechts Theater – dabei geht es in "Aerospace Folktales", einer Foto-Audio-Installation neben sechs Fächerpalmen an der Wand, um die Geschichte der Arbeitslosigkeit von Sekulas Vaters 1973. Daneben lässt Ian Wallace in seinem Bildfries aus Blaupausen und Xerox-Drucken nach Filmstills erkennen, dass unser Blick auf die "Poverty" (1980) in Wahrheit nur einer Klischee-Situation gilt.

Diese Armut ist nicht authentisch, sondern eine dramatische Inszenierung. Schäbig gekleidete Schauspieler agieren im Film vor einer Kulisse, die an die Rezession im Amerika der 30er Jahre erinnert. Der folienhafte Farbwechsel in Pop-Art-Manier lenkt von der vermeintlichen Sozialreportage ab. Im Videofilm lassen sich die Unstimmigkeiten entziffern: Ein aufgelassenes Industrieviertel in Vancouver diente Wallace und Freunden für die Aufnahmen als Kulisse, die mit den monochromen Kadern auch die amerikanische Sozialfotografie um 1930 als geschönt entlarvt.

Wie theaterhaft sind unser Leben und unsere Kunst heute? Die junge Szene stellt die Frage nach der Trennwand und ihrer Distanz erneut, nachdem sie aufgehoben schien. Der distanzierende Apparat, die Kamera, spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle.

Neue Perspektive auf die distanzierenden Grenzwände

Aber vor allem die Manipulation mit Bildern, die eine Politik der Fiktionen mit uns treibt, schürt den Ehrgeiz, hinter die Kulissen von möglichen Trugbildern zu blicken oder uns eine ganz eigene Bühne zu schaffen. Veränderndes Sehen und ein Gewinn an kritischer Haltung gegenüber jenen distanzierenden, gar nicht immer unsichtbaren Grenzwänden zwischen Realität und Fiktion kann die Kunst hier vermitteln.

Eine besondere Verunsicherung in Sachen Wahrheitsgehalt bildet die komplexe Rauminstallation von Judy Radul, die sich den internationalen Gerichtshof in Den Haag vornimmt. Das vierstündige "Reenactment" der Verfahren gegen die Ex-Präsidenten Slobodan Miloševiæ (Serbien) und Charles Taylor (Liberia) wird als Siebenkanalvideo (2009), samt Playback und großer Kamerachoreografie, gegenüber einer Plexiglaswand erfahrbar.

Mit den Kopfhörern, Möbeln und anschließenden Räumen mit Objekten wie Gipsköpfen und Büchern, die auf den eigentlichen Drehort, einen Turnsaal, verweisen, wird das Gericht zum Theater der Manipulationen. Die spiegelnde Glaswand im fiktiven Gerichtssaal lässt zwar Interaktion zu, schafft aber gleichzeitig Distanz im Reflexionsraum der Kunst. Verbunden mit der Technologie der Überwachung, der versachlichenden Sprache, wie "Mr. Accused" oder "Mr. Prosecution", bauen sich neue vierte Wände auf.

Ein weiteres Assoziationsinstrument bildet eine Ramachandran-Box: In der therapeutischen Praxis simuliert sie Amputations-Patienten durch einen Spiegeleffekt optisch das bereits abgetrennte Körperglied.

Omer Fast konfrontiert uns in "A Tank Translated" (2002) mit den Gesichtern von vier israelischen Panzerfahrern auf Bildschirmen mit verschiedener Sockelhöhe. Interviews werden im Kriegsfahrzeug abgespielt. Wir lesen sie in Untertiteln und erfahren dabei schnell, dass es manipulierte Sprachblöcke sind.

Am Ende bleibt nur Unklarheit zurück

Schusswaffe und Kameraauge, Nationalismus und selbst darstellende Geschichtskonstruktion hebeln die verbale Erfahrung auch in der Zweikanal-Videoprojektion "Godville" (2005) aus. Dabei kommen verschmelzende Zeiträume hinzu, das 18. wird mit dem 21. Jahrhundert als museales Nachspiel verquickt. Am Ende bleibt nur Unklarheit statt Rekonstruktion linearer Geschichte. Harun Farocki hat 1983 Franz Kafkas Roman "Amerika" in der Verfilmung von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet interessiert. Der Film der Generali-Sammlung zeigt nicht die Handlung selbst, sondern die Feinarbeit an einzelnen Gesten und Worten, für die Straub, der Farockis künstlerischer Lehrmeister in Sachen Film war, bekannt ist.

Das Ergebnis, "Klassenverhältnisse" von 1984, behandelt also das Training des Rollenspiels und die Wandlung der Regisseure zu Schauspielern. Zwanghaftigkeit überträgt sich da auch auf den Kafka-Helden Karl, der im magisch dunklen Wald auftritt. Straub macht den ihn verehrenden Farocki aus Anerkennung zum Mitspieler, was eine nächste Ebene von Reflexion verlangt. Gegenüber Bildern steigert sich das Misstrauen in Sachen Wahrheitsgehalt: Ein doppelter Boden bildet sich da etwa durch das Verdecken und Überblenden von Film-Ausschnitten.

Versuchsanordnungen stummer Helden

Dazu passt auch die am 1. Juni aufgezeichnete Performance zur Schau: "Give a Doubt the Benefit of the Doubt" in drei Teilen, mit Anspielung auf die Kraft der Maske, die quasi hinter der Kulisse von Michael Fliri anprobiert wird. Es sind Versuchsanordnungen stummer, meist scheiternder Helden, minimale Gesten, die an Buster Keaton und Jacques Tati denken lassen, in der Rolle eines Cowboy, Punkers, Sportlers und sogar Selbstmord-Attentäters. Ein Aufstand der Materie begleitet den Selbstverfremder Fliri: Bei den Arbeiten von Andrea Geyer oder Wendelien van Oldenborgh wird zusätzlich das Stammeln, das Jean-Luc Godard so gerne filmisch einsetzte, übernommen. Körperliches Unbehagen sowie prekäre politische Situationen sind damit verbunden. "Keine falschen Echos" bitte hinter der imaginären Grenze Diderots, die uns immer noch gefangen hält oder in gewandelten Inszenierungen wieder begegnet.

Die fiktive Wand ermöglicht ein kurzes Innehalten im Sturm der Assoziationen im eigenen Kopf, die in dieser Ausstellung auch noch von Aernot Mik, Marcello Maloberti sowie Frédéric Moder & Philippe Schwinger ausgelöst werden. Das frühere Bild auf der Leinwand hat sich in die erweiterten Körperräume der neuen Medien durch Bewegung verflüchtigt. Wir müssen mitspielen, mit Geduld und Staunen über die Grenzen der Wahrnehmung.

Aufzählung Ausstellung

Hinter der vierten Wand
Ilse Lafer (Kuratorin)
Generali Foundation
Wiedner Hauptstraße 15,
1050 Wien
bis 15. August

Printausgabe vom Dienstag, 20. Juli 2010
Online seit: Montag, 19. Juli 2010 18:42:00

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