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Sammlung Essl/Klosterneuburg: Hermann Nitsch - Eine Retrospektive zum 65. Geburtstag

Der Wagner der Schlachthöfe

Von Claudia Aigner

300 Jahre Wiener Zeitung!Er hat mindestens einem Wurm und, sagen wir: 16 (oder womöglich 329?) Insekten das Leben gerettet. Irgend so ein buddhistischer Mönch, der sich mit dem Wedel seinen Weg freikehrt, demütig gebückt und staubschluckend, um mit seinen Sandalen auf keine unschuldige Kreatur zu treten? Nein, Hermann Nitsch. ("Ich möchte die Tötung von Tieren, wo es nur irgendwie geht, vermeiden.")
Der schüttet sogar abends die Weingläser aus, um das Getier aus dem Luftraum über Prinzendorf nicht in die Todesfalle zu locken. Und wie war das, als er den Wurm - vorerst jedenfalls - davor bewahrte, den Weg allen Fleisches zu gehen?
Da war der "Baumaxl" und Sammler Karlheinz Essl tief beeindruckter Augenzeuge. Als Nitschs Gattin Rita nämlich in ihrer Schürze Fallobst für die Schafe sammelte, war ein wurmstichiger Apfel dabei, in dem Nitsch sogleich das verborgene Leben erkannte und den er seinen Schafen daraufhin geistesgegenwärtig vorenthielt. Gut, Hermann Nitsch, der "Bluter der Nation", der Widersacher der Blutgerinnung, der jede "Blutspende" von Schwein und Rind dankbar entgegennimmt (quasi nach der Devise "Lasset die Rinder zu mir kommen"), wird sicher nicht in absehbarer Zeit - in Anlehnung an Franz von Assisi - heiliggesprochen als "Hermann von Prinzendorf". Den Vorwurf der Tierquälerei braucht er sich aber jedenfalls nicht gefallen zu lassen. In seinem so genannten Orgien Mysterien Theater verbluten ausnahmslos ohnedies schlachtreife Tiere, noch dazu unter sachkundiger, professioneller Fleischhackerhand. Und außerdem: Auch ich war bei McDonald's und habe dort nicht bloß Salat gegessen.
Noch bis zum 11. Jänner 2004 läuft in der Sammlung Essl in Klosterneuburg die Nitsch-Retrospektive zum 65. Geburtstag des von seinen Jüngern angebeteten Meisters der vollen Kübel und leeren Blutkreisläufe, der ja eigentlich Kirchenmaler werden wollte, aber dann doch der Nitsch geworden ist und zu dem seine Mutter gesagt haben soll: "Mein Gott, wärst' doch ein Professor geworden oder ein Bankbeamter, aber dass du mir das antust . . ."
Apropos "das". Seine Vorliebe fürs Fleischliche und fürs Hämoglobin (Nitsch: "Tritt dieser Lebenssaft aus, dann ist Gefahr, höchste Alarmstufe") und einmal auch seine Damenbindenbilder führten in den sechziger Jahren, die "das" noch nicht gewohnt waren, zur einen oder anderen Gefängnisstrafe.
Besonders markant: Die Vorfälle rund um die "Aktion des psycho-physischen Naturalismus". (Ob es etwas zu bedeuten hat, dass ich da immer zuerst freudianisch fehlgeleitet lese: "Aktion des psychopathischen Naturalismus"?)
Da brachte sich der junge Nitsch zuerst sehr naturalistisch in die Anatomie eines Schafes ein, wurde von der Polizei jäh unterbrochen (mit der Auflage, alles wegzuräumen) und war hernach wohl unter so etwas wie Entsorgungszeitdruck. Das Corpus delicti in seinem Mund verschwinden zu lassen, sprich aufzuessen, hat ihm offensichtlich zu lange gedauert. Und weil es zu Spekulationen Anlass gibt, wenn jemand einen prallen Sack durch die Gegend schleppt und nicht der Weihnachtsmann ist und dieser jemand den Sack sodann mit dem Fuß in den Donaukanal schubst (was freilich der Brus getan hat), schrien die Leute von den Gemeindebauten herunter, voller Vorurteil: "Mörder! Mörder!" Also gab es Mordalarm.
Kurzum: Der von den Gerichten vielfach Gepiesackte kehrte Österreich irgendwann für gut zehn Jahre den Rücken, um sich erst 1977 wieder umzudrehen, seiner einstigen Heimat sozusagen den Bauch entgegenzustrecken und ins Schloss Prinzendorf einzuziehen.
Fleisch und Fleisch gesellt sich gern: Zu sehen sind nun in der Ausstellung Fotos und Videos von frühen Versuchen mit Arrangements aus menschlichen Körpern und tierischen "Inhaltsstoffen" (also etwa ein männlicher Unterleib, belegt mit nacktem Hirn - igitt), sehr rote Fotos und Videos vom Drei- und vom Sechstagespiel, die den empfindlichen Magen mitunter leicht in den Schleudergang versetzen (ungefähr 400 Umdrehungen pro Minute).
Und natürlich Aktionsmalerei. (Ja muffelt das denn nicht, wenn da Blut unter der Farbe ist? Nitsch: "Das ist so dünn aufgetragen wie beim Palatschinkenmachen. Das stinkt nicht.") Die "Überreste" seiner 38. Malaktion im Schömer-Haus aus dem Jahre 1996 sind ebenso imposant sakral, geradezu katholisch hergerichtet (mit Altartischen, Messgewändern, Messkelch und Monstranz) wie die blutbesudelten Tragen und sonstigen Relikte von Nitschs "Sechstagewerk", seinem Sechstagespiel von 1998. Gesättigt mit Massaker.
Ich gebe zu: Die "Kapellen" dieses "Richard Wagner der Schlachthöfe" bzw. des Wagner der Fleischfresser und Weintrinker, der ein quasireligiöses, pathetisches Gesamtkunstwerk aus Orgie und Passionsspiel mit Gestank und selbstkomponiertem Lärm hütet, haben massive Ausstrahlung, der selbst ich mich nicht ganz entziehen kann.
Und vielleicht muss man ja anerkennen, dass der schwarzgekleidete Bacchus mit dem Rauschebart des Propheten die Urlust des Menschen, herumzugatschen und herumzuferkeln, fast therapeutisch aus dem domestizierten, handzahmen Homo sapiens wieder herauszukitzeln strebt. Allerdings: Einer Frau sozusagen fast bis zum Ursprung der Menschheit hineinzuspechteln und minutenlang Blut darüber zu gießen und spermaähnlichen Schleim auch noch ("Mehlkleister, so a Einbrenn eigentlich"), so geschehen in der 107. Aktion in Prinzendorf, kommt mir schon vor wie gynäkologischer Voyeurismus unter besonders scharfen äh verschärften Bedingungen.
Und die neuen Auferstehungsbilder des "Naturforschers"? Dasselbe in Gelb, was sonst Rot oder Schwarz war. Na ja. Eine Horrorvision: Der Mensch besitzt sechs Liter Seele, die nach seinem Ableben von Hermann Nitsch verschüttet und verschmiert werden. Dazu endzeitliches Getöse und Gelärme, also eine Komposition von selbigem Nitsch für sieben Bläser und eine Orgel, wo sogar die apokalyptischen Reiter aus dem Sattel kippen. Vor lauter Kakophonie.

Erschienen am: 07.01.2004

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