02.01.2003 19:02
Strategien gegen Verfestigung
Gewalt als latentes Thema: Neues zur "Expanded Art" von Valie Export in
Wien, Berlin und Buchform
"Expanded Art" macht Valie Export seit den 60er-Jahren:
Performance, Body-Art, konzeptuelle Fotografie, Video und Film. Neue Arbeiten
zeigt nun die Galerie Charim, ab 16. Jänner stellt die Berliner Akademie der
Künste "Mediale Anagramme" aus. Zudem ist ein Buch über die Medienkünstlerin
erschienen.
Wien - Überraschung: Da wird Valie Export zuweilen als "Doyenne der
Medienkunst" bezeichnet und macht praktisch klassische Skulpturen in ihrer neuen
Ausstellung. Da kennt man sich vordergründig nicht mehr aus, und das ist gut so.
Richtige Doyens haben ein starkes Frühwerk überlebt, um das Spätere kümmert sich
kaum jemand. Doyen, ein Wort zum Fürchten, macht eine Person immun, wie ein
Denkmal.
Und dem tritt Valie Export, Professorin an der Kölner
Kunsthochschule für Medien, in der Galerie Charim (bis 28. 2.) entgegen, obwohl
die als Waltraud Höllinger 1940 in Linz Geborene ihr in den 60er-Jahren
geschaffenes "Label" nicht hintanstellt. Was wiederum Gegenstand der kürzlich im
Passagen Verlag erschienenen Publikation VALIE EXPORT Bild-Risse von
Roswitha Müller ist.
"Expanded Art"
1994 war das
Buch in den USA erschienen, was keineswegs verwundert: Noch immer besitzt Valie
Export in den Staaten den höchsten künstlerischen Stellenwert und
Bekanntheitsgrad als eine der bedeutendsten Protagonistinnen der Medienkunst,
ebenfalls zu lesen als konzeptuelle Fotografie, als Expanded Cinema, als
sprachkritische Sektion der Gesellschaft. Export propagierte "Expanded Art"
lange, bevor diese als Crossover hip war.
Muellers Buch, zugleich auch
eine kompakte, illustrierte Monografie über Export, bettet die Künstlerin in den
historischen Zusammenhang von Performance-Art, Fluxus und natürlich von
feministisch orientierter Kunst. Gleichzeitig spürt das Werk auch Exports
Arbeiten, speziell auch den Filmen, bis in die frühen 90er-Jahre nach. Es fehlt
dann allerdings Exports 2001 errichteter "Gläserner Raum" am Wiener Gürtel, ein
exhibitionistische "Auslage" für Frauenspezifisches, auch als Anspielung in
einer Gegend, wo sich Frauen prostituieren.
Fast eine Mini-Retro leitet
die Schau bei Charim ein, Grundsätzliches: Gleich am Beginn steht Exports
berühmte, namengebende umcollagierte Smart-Export-Zigarettenpackung, nun
museal und wertvoll unterm Glassturz. Dieses Selbstporträt: Transfer Identity
steht richtungsweisend für ihre Projekte, die Bezug nehmen auf die Rolle des
Subjekts, der Frau, der Künstlerin innerhalb spezifisch konstruierter und
zugleich verschleierter Machtstrukturen.
Dazu passt auch die
Einschreibung des (weiblichen) Körpers etwa in die Architektur. Verschmolz
Export in einem früheren Porträt ihr Konterfei mit einer Treppe, so splittet sie
in ihrer aktuellen Präsentation den Stich eines anatomischen Kopfes aus dem
Barock. "Seit einigen Jahren habe ich die digitale mit der analogen Fotografie
konfrontiert, die Bilder vom Außen mit den Bildern vom Innen", erklärt Export im
Interview mit der Buchautorin Mueller.
Konstruktion und Dekonstruktion
von Bild- und Sprachkontexten bildet sicher eines der Leitmotive von Exports
Arbeit, so auch bei der aktuellen sechsteiligen "panoramatischen
Videoinstallation", wo ein gesprochener Satz zu dunklem, unverständlichem
Sprachengewirr mutiert. Zu sehen sind lediglich die Stimmritzen, gespenstisch
und fremd. Im Projekt Tonfilm (1969) sollte ein fotoelektrischer
Verstärker in den Kehlkopfdeckel eingebaut werden, der mit lichtempfindlichem
Widerstand mit der Gesichtsaußenseite verbunden ist. Der Verstärker regelt das
Stimmvolumen je nach Helligkeit und Dunkelheit. Das heißt: Bei Licht schreien
die Menschen, bei Dunkelheit sind sie unhörbar.
Mediale
Anagramme, unter deren Titel eine Personale an der Berliner Akademie der
bildenden Künste am 16. Jänner startet, definiert Export "als eine Art
Sprachsystem für die Bildproduktion in technischen Medien". Gewalt in jeder Form
über die Haut, den Körper sichtbar zu machen bildet ebenfalls eine Konstante bei
Export.
Am eindringlichsten sicher der Film Remote...Remote...,
wobei die Künstlerin vor dem Hintergrund eines Polizeifotos zweier missbrauchter
Kinder mit einem scharfen Messer ihre Nagelhaut einschneidet, nach jedem Schnitt
die bluttriefenden Finger in Milch taucht.
Ihre neueste, äußerst düstere
Installation Heads - Aphäresie besteht aus klassischer Bildhauerei, lässt
Parallelen zu: 60 auf Podesten stehende, gesichtslose Hohlformen von Köpfen -
aus Wachs, Bronze oder Aluminium - "starren" als eine Art verlorene Masse
hauptsächlich auf eine Diaprojektion, auf der grauenhafte
Archiv-Dokumentationsfotos von ermordeten Menschen im Loop durchrasen.
Kollektive Ohnmacht wäre eine der Deutungen. Aktuell wäre sie jedenfalls.
(DER STANDARD, Printausgabe, 3.1.2003)