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Kunsthaus: Nicht ohne meine Schwestern

01.04.2010 | 18:30 | SABINE B.VOGEL (Die Presse)

Im Kunsthaus Bregenz zeigt Candice Breitz ihre neueste Installation „Factum“: vier Zwillings- und ein Drillingspaar, die über ihr Leben reden.

Wer bist du? Erst müssen meine Zwillinge ihre Identität klären, bevor die Spiele beginnen. Noch zielt diese Frage nur auf ihren Namen. Aber wenn die jetzt Neunjährigen älter sind, wollen sie vielleicht einmal wissen: Wer bin ich? Wo beginnt das Leben meines Bruders, wo endet meine Identität?

Wie zentral solche Selbstbetrachtungen im Leben der identisch Verdoppelten sind, können wir jetzt im Kunsthaus Bregenz studieren. Dort zeigt Candice Breitz ihre neueste Installation „Factum“: vier Zwillings- und ein Drillingspaar, die über ihr Leben reden. Breitz stellte in Einzelgesprächen identische Fragen, sie präsentiert jetzt jedes Portrait auf einem eigenen Monitor. Wir Einlinge sitzen davor, vergleichen die Mimik und die Antworten der Verwechselbaren, staunen über die nahezu identische Körperhaltung, verfolgen fasziniert das Pingpong der Anziehungs- und Abgrenzungsprozesse. Diese Zwillinge, das wird in fast jedem Satz deutlich, leben die Pluralform bis in jede Entscheidung, wenn etwa die alten Damen keine Schönheitsoperation ohne die Schwester vornehmen lassen. Am ergreifendsten fasst es das junge koreanisch-kanadische Mädchen: Sie wünscht sich nichts mehr als eine Loslösung von ihrer Schwester – und fürchtet zugleich nichts mehr als deren Tod.

Mit diesen emotional und zeitlich intensiven Videoportraits beginnt Breitz' große Einzelausstellung in Bregenz. Die 1972 in Südafrika geborene Künstlerin nennt sie „The Scripted Life“, sie fragt darin: Wo beginnt, wo endet das Ich, was ist durch Eltern, Erziehung und Medien „vorgeschrieben“, was ist unsere individuelle Prägung?

 

Jack Nicholson spricht mit sich selbst

Und wie viele Ichs sind wir? Diese Frage stellt die großartige „Him“- und „Her“-Installation: Szenen aus 23 Filmen in 40 Jahren zeigen Jack Nicholson auf sieben Monitoren im Gespräch mit sich selbst. „Her“ sind dann 28 Rollen aus 30 Jahren von Meryl Streep, die anders als ihr Kollege nicht über sich selbst, sondern über andere spricht. Wir können hier geschlechtsspezifische Klischees suchen, mediale Stereotypen und schauspielerische Qualitäten studieren, dem Altern zuschauen. Aber es sind Schauspieler, deren Worte und Handlungen von Drehbüchern vorgeschrieben wurden. Das „Drehbuch“ der Zwillinge dagegen ist das gemeinsame Leben.

Und wie reagieren Zwillinge, wenn sie schauspielern? Breitz ließ vier Paare eine vorher selbst bestimmte Rolle improvisieren. Wir sehen zwei identisch aussehende, aber verschiedene Akteure nebeneinander. Wir können per Kopfhörer die Chinesin als Begleitservicedame im Gespräch mit dem voyeuristischen Außenseiter beobachten, oder unter der Tonkuppel das Stück als Ganzes verfolgen. In der Verdoppelung durch die Zwillingsakteure ist es spannend, wie identisch die Improvisation, wie viel individuell, wie viel vorgegeben ist. Die Bühne fungiert dabei als Konzentrat des Lebens, wo wir auf andere treffen und uns entscheiden müssen, wie wir welche Rolle spielen wollen – und können.

Ein reizvolles Konzept, um Determination zu studieren, die Freiheit im Vorgegebenen zu suchen. Geradezu entspannen kann man sich in der lautstarken Installation „Working Class Hero (A Portrait of John Lennon)“: 25 Fans singen einen Song, in dem Lennon dezidiert seinen eigenen Weg sucht. Tun die Fans das Gegenteil, wenn sie den Song nachsingen? Oder finden sie im Vorgegebenen ihre eigene Identität? Wieder die Fragen nach einem „scripted life“ zwischen Vorgegebenem und Individualität: Sie übertragen sich unausweichlich auf die Besucher. Wer bin ich?

Bis 11.April, Di-So 10-18 h, Do bis 21 h


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