17.10.2001 17:27:00 MEZ
Die weitsichtige Glotze
In der Kunsthalle Wien heißt es ab heute "Kunst sieht fern"

Fernsehen als Filter zwischen Kunst und Leben: Eine bekannte Tatsache, welche die Ausstellung "TeleVisions - Kunst sieht fern" in der Kunsthalle Wien mit über 80 Beispielen internationaler Kunstschaffender geistreich wie amüsant bebildert.


Wien - 266 Minuten sitzen US-Bürger vor dem Fernseher, knapp gefolgt von den Mexikanern mit 263. Ein 75-jähriger Deutscher verbringt durchschnittlich zehn Jahre vor dem TV. So weit eine Studie aus 2000 mit 1,2 Milliarden Menschen in 64 Ländern.

Dass das Fernsehen eine Tele-Vision geworden ist, zu einem "Filtersystem zwischen Kunst und Leben, einem Mittler zwischen öffentlicher und privater Imagination", wie es im Katalog der aktuellen Kunsthallen-Schau steht, beweist unter anderem die jüngste Geschichte.

Inwieweit Künstler die Fernsehkultur reflektieren, filtern, kritisieren und kommentieren, interessierte den New Yorker Kritiker und Kurator Joshua Decter, der sympathischerweise zugibt, verliebt ins Fernsehen zu sein. Und betont, in TeleVision - Kunst sieht fern weder ein "postkoloniales Globalfernsehprojekt" aufzubauen noch eine "Übung in Kulturwissenschaften".

Das merkt man dieser mit spacig-trendigen und höchst funktionellen Bildschirmflächen-Plastikwänden strukturierten Ausstellung auf Schritt und Tritt wohltuend an.

Zapp-Prinzip

Sie soll - analog zum optisch wie inhaltlich außergewöhnlichen Katalog - "eine Art tele-visuellen Raum widerspiegeln", sagt Decter. Mit diesem auf den Kunstwerk-Konsum ausgeweiteten Zapp-Prinzip wird allerdings wieder gleich alles gebilligt und die Auswahl der rund 80 Arbeiten - Videos, Malerei, Fotografien - der vergangenen drei Jahrzehnte kommt deswegen etwas willkürlich daher.

Arbeiten der 70er-Jahre, der Zeit der so genannten Medienpioniere, offenbaren sich hier einerseits besonders medienkritisch, andererseits extrem radikal. So kaufte sich Chris Burden 1973 zehn Sekunden Werbezeit für einen Trailer, der seinen Namen, den handgeschriebenen Titel Through the night Softly (sic!) und sieben Sekunden den nackten Künstler selbst, auf einem Parkplatz gefesselt in Glasscherben robbend, zeigte.

Die Künstler heute können auch die einseitigen Klischees im Sinne von "Glotzen macht blöd" ironisch gebrochen bestätigen, oder aber sich selbst ins Medium selbst einbringen. Christoph Schlingensiefs absurde U3000-Show auf MTV fällt da hinein oder der ironische Beitrag Christian Jankowskis, der in Telemistica italienische TV-Wahrsager über seine Teilnahme an der Biennale Venedig befragt.

Oft ist es auch die bloße "Abbildung", die ohne Oberlehrer-Zeigefinger zum Kommentar wird wie bei Miltos Manetas, der Claudia and The Playstation malt. Oder Jessica Diamond, die in eine riesige Knoblauchknolle Namen zweier US-Talkshow-Pioniere einschreibt. Das "all-amerikanische" Gehirn, das unser kollektives Unbewusstes steuert? Verschwörungstheorie in einer Knoblauchknolle!

Obwohl einige Arbeiten dezidiert auf US-amerikanische Zustände hin geschneidert sind und deren Hintergründe hierzulande kaum bekannt, schafft es die Schau trotzdem, Aspekte des Fernsehens - das übrigens im Rahmen von Kunstausstellung selten thematisiert wurde - quasi modellhaft vorzuführen. Harun Farockis schon "klassisch" gewordene Analyse der TV-Bilder der rumänischen Revolution inklusive.

Sampling-Methoden

Interessant auch nachzuvollziehen, wie sich die im Zusammenhang mit TV immer dankbaren Sampling-Methoden in den drei Jahrzehnten entwickelten (Candice Breitz, Daniel Pflumm, Apsolutno).

Auch Nebenaspekte wie Studiodesign kommen ins Bild, zum Beispiel John Millers bonbonfarbige Primitiv-Studio-Screenshots oder das von Thomas Demand 1997 konstruierte Studio als symbolhafter Foto-Kommentar über die Künstlichkeit (und die Kunst).

Den (kulturellen) Code haben wir intus. Werden zukünftige (Kunst-)Historiker das Phänomen „Spock“ oder Derricks "Harry" in ihre Diplomarbeiten aufnehmen?

Der zweite Blick zahlt sich aus: Glaubt man im Plakatmotiv des in Unterhose vor dem TV fläzenden Herrn eine Mundl-Klischee-Variante herauszulesen, offenbart die Zeichnung von Ashley Blickerton jenseits des Plakat-Details die böse Parodie eines Kunstsammlers, der sein Toupet am Designersofa abgelegt hat: The Patron.

Auch hier erfüllt sich die Hoffnung von Kurator Decter, dass TeleVisions "als Nebenprodukt" beginnen könnte, die Autorität der sattsam bekannten Geschichte der Medien- und Videokunst zu unterminieren.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 10. 2001)


Quelle: © derStandard.at