Grillpartys beginnen hier schon mal um Mitternacht, etwa wenn Künstlerstars wie Olafur Eliasson und Tobias Rehberger am Grill stehen. Vernissagen werden in halb privaten „Townhouses“ gefeiert. Gerwald Rockenschaub legt bis frühmorgens in einem trockengelegten Schwimmbad auf. Und die offizielle Kunstmesse, das „Art Forum“, hat derart viele Alternativveranstaltungen an schrägen Orten, in leer stehenden Flughäfen, Umspannwerken, Bürogebäuden, dass man, einmal auf die Pirsch gegangen, nur noch schwer zurückfindet.
Manchmal, etwa wenn man zufällig arbeiten muss, ist Berlin fast zu
entspannt. Das bekommen vor allem die 130 Galeristen zu spüren, die
sich beim heute, am Sonntag, zu Ende gehenden Art Forum die Füße in den
Bauch stehen und von frühmorgens bis frühmorgens Sammler, Künstler,
Journalisten betreuen müssen. Selbst der Wiener Georg Kargl,
Österreichs treuester Art-Forum-Teilnehmer, Part des „Selection
Committee“ und mit einem formal perfekten Stand vertreten, stöhnt ein
wenig. Wobei er dieses Jahr einen kleinen Triumph feiern darf –
erstmals seit Jahren sind ihm wieder einige wichtige Kollegen nach
Berlin gefolgt –, Krinzinger, Schwarzwälder, Insam, König, Krobath sind
teils nach längeren Pausen wieder beim Art Forum dabei.
Wenig
Kohle, viel Prestige. Aus Innsbruck reisten die Thomans und Bernd
Kugler an, Nikolaus Ruzicska aus Salzburg. Ein Stammgast dagegen ist
die Galerie Ropac, obwohl Galerieleiter Arne Ehmann klar ist, hier
weniger Kohle als Prestige scheffeln zu können – er zeigt drei Duos,
Gilbert und George, Art and Language sowie einige der
Gemeinschaftsarbeiten von Arnulf Rainer und Dieter Roth, die voriges
Jahr im Belvedere ausgestellt waren.
Auch die großen Berliner Galerien wie Max Hetzler und Klosterfelde sind wieder beim Art Forum dabei, nachdem sie voriges Jahr aus Protest sogar eine eigene Gegenmesse gegründet haben – die „abc“. Die zwar auch heuer wieder stattfindet, diesmal aber in enger Kooperation mit dem Art Forum und in ungewöhnlicher Form: In der Akademie der Künste bekam jede Galerie für je einen Künstler einen simplen Architektentisch als Bühne zur Verfügung gestellt. Das originellste Messekonzept für Krisenzeiten bisher: Vadim Fiskin lässt zwei Föhns Pingpong spielen; Werner Reiterer hat ein Schild „Will be back in 5minutes, god“ auf seinen Tisch gelegt; und der Franzose Saâdane Afif, der zuletzt im Kunsthaus Graz ausstellt hat, rechnet damit, dass niemand Skerbischs Lichtschwert vor der Grazer Oper kennt – er zeigt ein ähnliches Gerüst der Freiheitsstatue als Prozessionsfigur.
Eine kommerzielle Konkurrenz zum Art Forum, wie voriges Jahr, ist die abc-Messe jedenfalls nicht mehr, sie wurde geschickt zu Tode umarmt von den zwei neuen Direktoren, beide von der gewichtigen Basler „Art“ abgeworben, Eva-Maria Häusler und Peter Vetsch. Dafür, dass Letzterer dort jahrelang Pressesprecher war, gelang die Antrittspressekonferenz allerdings reichlich holprig. Statt die – für eine Messe rein zeitgenössischer Kunst – demütigende Frage nach dem „teuersten Werk“ inhaltlich zu kontern, gestand Vetsch nur ein, es einfach nur noch nicht ausgemacht zu haben.
Ein Hinweis darauf, dass aus der Cutting-Edge-Messe, streng
Contemporary, lässig Berlin-trashig, eine verwechselbare Verkaufsmesse
wird? Noch sind es nur Ahnungen, aber auch die neue Öffnung zum
Kunsthandel lässt aufhorchen – es sollte hier vermehrt auch Kunst ab
1960 gezeigt werden, um ein breiteres Publikum anzusprechen, so Vetsch.
Aufgegeben wurde auch die kuratierte Ausstellung innerhalb der Messe,
und selbst die demokratische Platzverteilung nach Alphabet wurde
zugunsten des üblichen Primats der Mächtigsten geopfert. In den Kojen
selbst dominierte Kleinformatigeres, Gerahmtes, schnell einzukaufen für
die Wohnzimmerwand. Wenige trauten sich an Einzelpräsentationen,
Installationen, Videos. Die Krise? Vielleicht. Aber eher eine Stilkrise
der bisher unverwechselbaren Messe.
Krobath in Berlin. Denn in
der Wirtschaftskrise wird sich das günstige Berlin mehr denn je als
Kunsthauptstadt Europas beweisen. Zumindest vordergründig ging es hier
sowieso nie um Geld, der Fokus liegt auf produzieren und distribuieren.
Das reizt auch immer mehr Galeristen aus dem international etwas
abgelegenen Wien, Heike Curtze betreibt schon jahrelang eine Filiale
hier, es folgten voriges Jahr Charim, Rosemarie Schwarzwälders Sohn
Nikolaus Oberhuber hat mit Partnern das schicke KOW gegründet, und
Helga Krobath hat seit Kurzem ebenfalls einen Koffer in Berlin – sie
zog gemeinsam mit der Berliner Galerie Johnen und der Hamburger
Produzentengalerie in ein elegantes neues Galeriehaus nahe dem
Boros-Kunstbunker. Am Freitag eröffnete sie mit Collagen von Ji?i
Kovanda.