Globalisierung positiv

documenta 11 beginnt in Wien.
Von Roland Schöny


Praktisch jede documenta hat zeichenhafte Bedeutung für die Wahrnehmung der bildenden Kunst. Mit der vergangenen, sehr erfolgreichen documenta 10 hat die Französin Catherine David deutlich darauf verwiesen, indem sie auf die Geschichte der Weltkunstschau, auf deren Ideologie und auf das politisch-kritische Potenzial der Kunst ihren Schwerpunkt gelegt hat.


Jetzt geht der Afroamerikaner Okwui Enwezor einen Schritt weiter. Auf fast spektakuläre Weise möchte er die documenta 11 in einen globalen Zusammenhang rücken. Mehrere Diskussionsplattformen - unter anderem in New Delhi, Kinshasa, oder Johannesburg - werden schon heuer stattfinden, um Fragen aufzuwerfen, die mit kultureller Produktion zu tun haben.

Beginn Frühjahr 01

Angelegt ist dieses komplexe Vorhaben wie ein Forschungsprojekt mit zahlreichen Vorträgen. Die große documenta-Ausstellung in Kassel, so Enwezor, ist dann eigentlich nicht mehr als documenta 11 zu sehen, sondern mehr als das Ergebnis, der visuelle Teil des Veranstaltungszyklus', der in diesem Frühjahr beginnen wird.

Start der documenta-Veranstaltungen ist der 15. März in Wien an der Universität der bildenden Künste auf dem Schillerplatz, wo übrigens auch Uta Meta Bauer, eine der von Okwui Enwezor bestellten Co-Kuratorinnen lehrt. Titel dieser ersten Plattform, die dann vorerst in Berlin und London fortgesetzt wird, ist "Democracy Unrealized" - Demokratie als unvollendeter Prozess. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem momentanen Entwicklungsstand westlicher - liberaler - Demokratien und deren Verhältnis zu den Staaten Afrikas, den so genannten Entwicklungsländern bzw. zu den Ländern des ehemaligen Ostens.

Nicht nur um das Thema Migration oder um Grundfragen der Menschenrechte geht es in dieser ersten Reihe, sondern vor allem um die Frage, welche Ideologie von so genannten westlichen Staaten produziert wird, wo dem Einzelnen ein enormer Stellenwert eingeräumt wird.

Weltkultur

Aber auch das Verhältnis zu anderen Kulturen wird diskutiert. Denn Einwanderung, Migration sei - wie aus einem theoretischen Text der documenta hervorgeht - zumeist nur um den Preis der Anpassung möglich. Letztlich möchte documenta-Leiter Okwui Enwezor also Fragen von Kultur und Gesellschaft aus einer anderen Perspektive, von außen her beleuchten.

Wenn Okwui Enwezor also sagt, es sei möglich, einen so genannten kritischen Diskurs von den Rändern her, von der Peripherie her zu führen, dann mag das auf den ersten Blick vielleicht wenig mit Kunst in einem populären Sinn zu tun haben. Gleichzeitig aber waren gerade die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts ein Jahrzehnt, in dem Gesellschaftskritik und -theorie für die bildende Kunst besonders hohe Bedeutung erhielten. Das ist einer der Gründe, warum zur Reihe "Demokratie als unvollendeter Prozess" wichtige Theoretiker wie der Soziologe Immanuel Wallerstein, die amerikanische Aktivistin Angela Davis oder die Feministin Seyla Benhabib in Wien erwartet werden.

Vita Enwezor

Der afroamerikanische Kunstkritiker und Dichter Okwui Enwezor ist nach zehn künstlerischen documenta-Leitern aus Europa der erste Afrikaner, der für die Avantgarde-Kunstausstellung verantwortlich zeichnet. Enwezor wurde 1963 in Nigeria geboren. Mit 19 zog er zum Studium der Politik und Literatur in die USA, wo er bis heute abwechselnd mit Johannesburg lebt.

Er begann mit Kunstkritiken und gab das Kunstmagazin "Nka" für zeitgenössische afrikanische Kunst heraus. Daneben schrieb er Gedichte. Seit knapp zehn Jahren gestaltet er auch selbst Ausstellungen - zunächst in New York, Mitte der 90er Jahre auch in Italien und Spanien. 1997 machte er mit der hoch gelobten Johannesburg-Biennale Furore in der Kunstwelt. Er gilt als einer der wichtigsten Kenner der Kunstproduktion seines Heimatkontinents.

Die nächste "documenta" beginnt im Juni 2002. Die alle fünf Jahre in der nordhessischen Stadt organisierte Ausstellung wird als die bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst in der Welt angesehen.

Link: documenta 11

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