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Kunstberichte

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Statistiken sind tödlich

Aufzählung (cai) Der Tod ist natürlich eine ernste Angelegenheit. Außer vielleicht, das Letzte, was ein Sterbenskranker zu sehen kriegt, ist eine geschmacklose Wanddekoration, und er ist dann so schlagfertig, sich mit folgender Bemerkung zu verabschieden: "Entweder die Tapete geht oder ich!" Über diese letzten Worte (angeblich von Oscar Wilde) darf man wahrscheinlich schon schmunzeln. Was aber die politisch korrekte Reaktion auf Werner Reiterers Arbeiten zum Thema Tod ist, da bin ich mir nicht immer ganz sicher.

Der markant behaarte Sockel zum Beispiel. Zuerst denkt man: Da hat ein Vandale sein Toupet draufgelegt. Doch dann bemerkt man weiter unten das Hitlerbärtchen. Der Sockel ist also notdürftig verkleidet als der unbeliebteste Tote im Sonnensystem. Soll ich über diesen Faschingsscherz nun verschämt kichern oder soll mein "innerer Rasierapparat" die Haare feindselig anbrummen? Und was ist die Botschaft von Reiterers Entwurf für einen Altar? Religion ist, wenn man trotzdem glaubt? Auf einem Tisch liegen ein abgelegter Heiligenschein, ein Handy, das ab und zu läutet, und ein Zetterl: "Will be back in 5 minutes. God." (Ein Witz wie: "Komme gleich. Godot.") Und Gott hat offenbar den Stift, mit dem er das gekritzelt hat, mitgenommen. Löst er damit grad irgendwo ein Kreuzworträtsel? Gott ist halt auch nur ein Mensch.

Mit seinem weißen Riesenwürfel, der ein Pedal hat, beweist Reiterer, dass er ein Meister der Überraschungseffekte ist. Oh, das Ding könnte ja glatt "Hemingway" heißen! Denn tritt man aufs Pedal, ertönt ein imposanter Glockenschlag. Aha, "Wem die Stunde schlägt". Und die Uhr, die die Lebenserwartung des Künstlers herunterzählt, ist ein gelungen makabres Selbstporträt. Sollte Reiterer also in 40 Jahren noch am Leben sein, wäre er dann bereits seit zwei Jahren statistisch mausetot. Gut, Böcklins "Selbstbildnis mit fiedelndem Tod" bringt den Vanitas-Gedanken gruseliger rüber.

Galerie Krinzinger
(Seilerstätte 16)
Werner Reiterer
Bis 20. Februar
Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr
Sa.: 11 – 16 Uhr

Ausbruchssichere Kleider

Aufzählung (cai)Über Socken spricht man nicht, die hat man. (Nämlich an .) Zum Glück muss ich aber eh nix über sie sagen. Obwohl sie sehr engen Kontakt mit jenem Phänomen haben, um das es hier geht. Äh, mit dem Schweiß? Ja, auch. Doch eigentlich mit dem Körper. Von Ona B. bin ich ja ein bissl enttäuscht. Statt der gewohnten prallen Sinnlichkeit: flache Schatten von Models. Irgendwie blutleer. Und der "lieblichen Periode" vom Daniel Maria Thurau trauere ich ebenfalls nach. Egal. Die sensiblen Grafitzeichnungen von Juliana Do haben mich rasch getröstet. Diffus bewegte, erotische Frauenleiber (mich erinnern sie seltsamerweise entfernt an Moorleichen), garniert mit dekorativen Tropfen. Schweiß? Eher nicht. Und Peter Neuwirth kostet seine fetischistischen Männerfantasien voll aus. (Damit ist nicht gemeint, er würde mit der Modelleisenbahn spielen.) Das Reizvolle an den gezeichneten Korsetts für Fortgeschrittene ist: Ihr Schöpfer hat sie wie ein Ingenieur durchdacht. Die sind ausbruchssicher.

Galerie Lang Wien
(Seilerstätte 16)
Human being
Bis 13. Februar
Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr
Sa.: 11 – 16 Uhr

Die weiße Periode

Aufzählung (cai)Sein Name ist schöner, als es die Bilder sind, die er malt. Das behaupten manche zwar auch vom späten Picasso, aber dem Johann Julian Taupe ist das unlängst tatsächlich passiert. Sein Stil, eine Fläche in bunte Farbparzellen zu zerteilen, ist nämlich irgendwann bis zur Leblosigkeit erstarrt. Beispiele hängen auch beim Exner. Doch je weiter man sich in die Galerie hineinwagt, desto besser (und weißer) werden die Bilder. Und desto malerischer. Hat der Taupe womöglich ein paar totenstarre, bunte Gemälde erfolgreich reanimiert, indem er sie mit weißer Farbe teilweise ausgelöscht hat?

Galerie Wolfgang Exner
(Rauhensteingasse 12)
Johann Julian Taupe
Bis 22. Februar
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr
Sa.: 11 – 17 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 27. Jänner 2010
Online seit: Dienstag, 26. Jänner 2010 16:18:00

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