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27.12.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Wieherndes Ross, in voller Montur | ||
VON PAUL KRUNTORAD | ||
Ausstellung. "Seidenstraße" in Treviso: Chinesische Kultur in einer Qualität wie nie. | ||
Z Treviso, dreißig Kilometer nordöstlich von Venedig, war
noch vor einem Jahrzehnt der Lagunenstadt, aber auch seinen Nachbarn Padua
und Vicenza an städtetouristischer Attraktivität weit unterlegen. Man hat
aber in den letzten Jahren mit Ausstellungen der klassischen Moderne
Besucherrekorde verbucht, über zwei Millionen. Die will man nun
übertreffen: China-Experte Adriano Mádaro, aus dem Veneto gebürtig, hat
das Land des Lächelns 160 Mal besucht, Bücher darüber geschrieben. Er ist
das einzige ausländische Mitglied der chinesischen Akademie für
internationale Kultur. So angesehen ist er in Peking, dass es ihm gelungen
ist, mit noch nie außerhalb Chinas gezeigten Exponaten ein monumentales
Vorhaben zu realisieren, eine Folge von vier Ausstellungen im Abstand von
je zwei Jahren, "La Via della Seta", über die chinesische Kultur von Quin-
bis Quing-Dynastie, 226 vor bis 1911 nach Christi. In der ersten, "La Nascita del Celeste Impero" (Die
Geburt des Himmlischen Reiches) fügen sich rund 200 Exponate aus 60 Museen
zum Bild einer Kultur, die ihren ersten Höhepunkt erreicht hat: Kaiser
Quin vereinte die Provinzen, deren Fürsten einander bekriegten, zu einem
einzigen Reich, zentralisierte die Verwaltung, vereinheitlichte Maße,
Währung und Schrift. Zur Zeit der Quin-Dynastie wurde das Papier erfunden,
freilich auch die erste (und größte) überlieferte Bücherverbrennung
angeordnet, um die - heute würde man sagen: liberalen - Ideen des
Konfuzius und Lao-Tse einzudämmen. In der verschachtelten Casa dei Carraresi, am Ufer des
Flüsschen, das sich in der Fußgängerzone Trevisos in Kanäle verzweigt,
verfällt man in jedem Raum ins Staunen. Die exquisiten, zum Großteil
fragilen Leihgaben - Hauptsponsor: Unicredit, die Bank, die die Bayerische
Hypovereinsbank inklusive Bank Austria übernommen hat - beeindrucken durch
die ausgeprägte Aura des Einzigartigen. Selbstverständlichkeit, ja
Leichtigkeit der handwerklichen Ausführung, Anmut und Eleganz, die bei den
Figuren (Mensch und Tier) aus der genauen Beobachtung des Gestus und der
Haltung resultiert, das alles summiert sich zu einer Ausstellung über
chinesische Kultur, wie es sie in dieser Qualität zuvor noch nie gegeben
hat. Die archäologischen Funde sind in hervorragendem Zustand, intakt und
in den Farben auch bei den nicht glasierten Figuren noch immer leuchtend
genug, um einen authentischen Eindruck zu vermitteln. Ein wieherndes Ross, in voller Montur, perfekt
ausbalanciert, obwohl der linke Fuß gehoben ist; ein Reiter, an dessen
Pferd sich ein Leopard festgekrallt hat; ein schnaubendes Kamel mit einem
schlafenden Mädchen; ein anderes, das acht Musikanten auf einer Plattform
trägt - sie sind unübertrefflich in ihrem Realismus, während die Pyramide
dreier Akrobaten im Kopfstand aus Ton pure, abstrahierte Bewegung ist.
Einzigartig ist die Seidenkollektion, Stoffreste wie
Kleidungsstücke. Seiden, wie die aus dem Grab der aristokratischen
Mawangshui-Familie (westliche Han-Dynastie) haben Damen der römischen
Gesellschaft entzückt. Seide exportierte China schon in der Antike. Als
man dann die Seidenraupen in den Westen schmuggelte, nahm zuerst Byzanz
die Seidenproduktion auf und in dessen Nachfolge Venedig. Produktion und
Verarbeitung waren in den Hügeln nördlich von Treviso konzentriert.
Auf einem Fresco aus der Tang-Dynastie, sieht man drei Frauen mit der charakteristischen Haartracht, mit Nadeln hochgesteckt. Die beiden vorne tragen bodenlange Röcke und haben Schals um die Schultern drapiert, die Schlussfigur, deren weibliches Geschlecht durch Gesichtszüge und Frisur eindeutig ausgewiesen ist, trägt eine in der Taille gegürtete Jacke, weite Hosen und Pantoffeln - Männerkleidung. Ist sie verkleidet, ein Transvestit, oder hat ihre Kostümierung eine rituelle Bedeutung? |
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