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27.12.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Wieherndes Ross, in voller Montur
VON PAUL KRUNTORAD
Ausstellung. "Seidenstraße" in Treviso: Chinesische Kultur in einer Qualität wie nie.

Z
wei ineinander verschlungene Bron ze-Drachen, zweieinhalb Meter lang, 90 Kilo schwer, 2000 Jahre alt, aus Xi'an, der Hauptstadt der Provinz Shaanxi im Nordosten Chinas; ein 134 Zentimeter hohes Tonmodell eines fünfstöckigen Stadthauses, vor drei Jahren beim Ausheben in Shaanxi zu Tage gefördert; die Ehrengarde aus dem Grab eines Generals der westlichen Han-Dynastie, Bronze, 38 Pferde, 14 Streitwägen, ein Ochse, 17 Krieger und 28 Diener, verwahrt im Provinzmuseum von Lanchou - sie alle sind nach einer komplexen logistischen Transaktion jetzt in Treviso zu besichtigen, in der Casa die Carraresi, dem mittelalterlichen Gästehaus der Herzöge von Carrara, die im 14. Jahrhundert die Stadt beherrschten.

Treviso, dreißig Kilometer nordöstlich von Venedig, war noch vor einem Jahrzehnt der Lagunenstadt, aber auch seinen Nachbarn Padua und Vicenza an städtetouristischer Attraktivität weit unterlegen. Man hat aber in den letzten Jahren mit Ausstellungen der klassischen Moderne Besucherrekorde verbucht, über zwei Millionen. Die will man nun übertreffen: China-Experte Adriano Mádaro, aus dem Veneto gebürtig, hat das Land des Lächelns 160 Mal besucht, Bücher darüber geschrieben. Er ist das einzige ausländische Mitglied der chinesischen Akademie für internationale Kultur. So angesehen ist er in Peking, dass es ihm gelungen ist, mit noch nie außerhalb Chinas gezeigten Exponaten ein monumentales Vorhaben zu realisieren, eine Folge von vier Ausstellungen im Abstand von je zwei Jahren, "La Via della Seta", über die chinesische Kultur von Quin- bis Quing-Dynastie, 226 vor bis 1911 nach Christi.

In der ersten, "La Nascita del Celeste Impero" (Die Geburt des Himmlischen Reiches) fügen sich rund 200 Exponate aus 60 Museen zum Bild einer Kultur, die ihren ersten Höhepunkt erreicht hat: Kaiser Quin vereinte die Provinzen, deren Fürsten einander bekriegten, zu einem einzigen Reich, zentralisierte die Verwaltung, vereinheitlichte Maße, Währung und Schrift. Zur Zeit der Quin-Dynastie wurde das Papier erfunden, freilich auch die erste (und größte) überlieferte Bücherverbrennung angeordnet, um die - heute würde man sagen: liberalen - Ideen des Konfuzius und Lao-Tse einzudämmen.

In der verschachtelten Casa dei Carraresi, am Ufer des Flüsschen, das sich in der Fußgängerzone Trevisos in Kanäle verzweigt, verfällt man in jedem Raum ins Staunen. Die exquisiten, zum Großteil fragilen Leihgaben - Hauptsponsor: Unicredit, die Bank, die die Bayerische Hypovereinsbank inklusive Bank Austria übernommen hat - beeindrucken durch die ausgeprägte Aura des Einzigartigen. Selbstverständlichkeit, ja Leichtigkeit der handwerklichen Ausführung, Anmut und Eleganz, die bei den Figuren (Mensch und Tier) aus der genauen Beobachtung des Gestus und der Haltung resultiert, das alles summiert sich zu einer Ausstellung über chinesische Kultur, wie es sie in dieser Qualität zuvor noch nie gegeben hat. Die archäologischen Funde sind in hervorragendem Zustand, intakt und in den Farben auch bei den nicht glasierten Figuren noch immer leuchtend genug, um einen authentischen Eindruck zu vermitteln.

Ein wieherndes Ross, in voller Montur, perfekt ausbalanciert, obwohl der linke Fuß gehoben ist; ein Reiter, an dessen Pferd sich ein Leopard festgekrallt hat; ein schnaubendes Kamel mit einem schlafenden Mädchen; ein anderes, das acht Musikanten auf einer Plattform trägt - sie sind unübertrefflich in ihrem Realismus, während die Pyramide dreier Akrobaten im Kopfstand aus Ton pure, abstrahierte Bewegung ist.

Einzigartig ist die Seidenkollektion, Stoffreste wie Kleidungsstücke. Seiden, wie die aus dem Grab der aristokratischen Mawangshui-Familie (westliche Han-Dynastie) haben Damen der römischen Gesellschaft entzückt. Seide exportierte China schon in der Antike. Als man dann die Seidenraupen in den Westen schmuggelte, nahm zuerst Byzanz die Seidenproduktion auf und in dessen Nachfolge Venedig. Produktion und Verarbeitung waren in den Hügeln nördlich von Treviso konzentriert.

Auf einem Fresco aus der Tang-Dynastie, sieht man drei Frauen mit der charakteristischen Haartracht, mit Nadeln hochgesteckt. Die beiden vorne tragen bodenlange Röcke und haben Schals um die Schultern drapiert, die Schlussfigur, deren weibliches Geschlecht durch Gesichtszüge und Frisur eindeutig ausgewiesen ist, trägt eine in der Taille gegürtete Jacke, weite Hosen und Pantoffeln - Männerkleidung. Ist sie verkleidet, ein Transvestit, oder hat ihre Kostümierung eine rituelle Bedeutung?

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