Kultur

Kunst aus dem Peinlichen

03.05.2007 | SN
Die Künstlergruppe Gelitin knetet Plastilin, spielt mit Tabus und jongliert mit Abfall. Ein Motto: "Wir machen das Peinliche zum künstlerischen Moment." SIBYLLE FRITSCH

Sibylle Fritsch Wien (SN). Heute New York, morgen Venedig, übermorgen Paris: Sie sind auf dem internationalen Kunstmarkt zu Hause, arbeiten aber noch immer in Wien, Nähe Reumannplatz, in einem verfallenden Biedermeierhaus, das zwischen Gemeinde- und anderen Bauten irgendwie vergessen wurde: Gelitin, Österreichs vielseitigste, bunteste und dionysisch-provokante Künstlergruppe.

Über ein Stiegenhaus, das schon bessere Tage gesehen hat - der Verputz ist abgebröckelt, das Ziegelmauerwerk ist sichtbar - gelangt man zu den auf zwei Stockwerke verteilten Ateliers, wo Ali Janka, Wolfgang Gantner, Florian Reiter, Tobias Urban mit fünf Helfern und Helferinnen ihre dadaistisch-sinnlichen Kunstexzesse und Ausstellungen aus Abfall vorbereiten. Acht waren es in den vergangenen zwei Monaten, eine Gruppenschau ist soeben von Budapest nach Bukarest unterwegs. Nach der Teilnahme beim New Yorker Performancefestival "creative time" ab 7. Mai auf Coney Island geht es am 18. Mai zur nächsten Gelitin-Vernissage in der Kärntner Galerie Schloss Damtschach - genauer: in der Schlosskapelle. Grellbunte Blumenbilder mit aufgeplatzten Blüten stehen beim Besuch der SN im Wiener Atelier zum Abtransport bereit. "Ich sehe keine Blüten darin, sondern den Urknall", sagt Wolfgang Gantner, und nimmt einen Schluck Tee aus einer Tasse, die anstelle eines Henkels eine lange Nase - oder ist es ein erigierter Penis? - zum Halten hat.

Die Blumenbilder, wie viele der Arbeiten von Gelitin, sind aus Plastilin. Ebenso wie die Hände, die in einer gerade entstehenden familiären Fotomontage rund um Künstlerfreund Markus Orsini-Rosenberg aus einem Bild herausragen. "Plastilin ist angenehm, man ist handwerklich beschäftigt und behält saubere Finger - bis auf die Nägel", sagt Wolfgang Gantner lachend. Und es fühle sich sinnlich an - wie all ihre bevorzugten Materialien, die in ihren Ateliers aus den Ecken quellen und Erinnerungen an Kinderspielplatzsandkiste und großmütterliche Gemütlichkeit vermitteln: Gestricktes, Gewebtes, Felliges, jedenfalls Textiles.

Da baumelt etwa ein Elefantenoktopusschmetterling in pink-gelb-resedagrün-braun von der Decke, und ein weißes Kindergitterbett ist bis obenhin mit kuscheligen Teddybären gefüllt. Ein Stofftier wurde sogar zu ihrem Markenzeichen: ein pinkfarbener gestrickter Riesenhase, den sie 2005 auf einer Schipiste von Artesina (Piemont) platzierten.

Auch Holz verwenden sie gerne für ihre installativen Architekturen. Schon bei ihrer Ausstellung Otto Volante, 2004, in der Galerie Massimo De Carlo in Mailand hatten Gelitin eine befahrbare hölzerne Achterbahn konstruiert.

Aus Holzlatten wird auch der Turm mit spinnenartigen, den gesamten Raum umgreifenden Armen sein, den sie für Franz West auf der Biennale in Venedig (10. Juni bis 21. November) bauen. Franz West, der sich zum 60. Geburtstag "anstelle eines Rolls-Royce" die Ausstellung "Hamsterrad" im Arsenale schenkt, hat seine Malerfreunde zur Mitgestaltung eingeladen. "Endlich eine Ausstellung ohne Kurator", sagt sich Florian Reiter, "viele tolle Künstler/-innen haben sich angeschlossen."

Dass Gelitin immer für Überraschungen gut sind, weiß auch der Wiener Galerist Christian Mayer: "Sie sind undogmatisch, entwickeln Projekte meistens erst vor Ort, dafür aber präzis und professionell." Und sie bespielen mit so viel Humor, Lebendigkeit und kindlichem Einfallsreichtum auch Tabus, dass ihr Publikum stets vom Lustprinzip profitiert: Im Kunsthaus Bregenz 2006 konnte es im Moorschlamm plantschen, bei der Expo 2000 in Hamburg in eine unterirdische Glücksgrotte hinabtauchen.

Bequem machen es sich die Künstler aber nicht. "Jeder Performanceauftritt erzeugt Lampenfieber und ist mir peinlich", sagt Gantner. "Wir machen das Peinliche zum künstlerischen Moment."

Sogar der Urlaub wird zum Experiment. Den Juli werden sie mit Lebensmitteln ausgerüstet auf einer 400 Quadratmeter großen schwedischen Schäreninsel verbringen.

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