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Ankerbrot-Fabrik: Ein frischer Duft

18.06.2011 | 18:08 | von Almuth Spiegler (Die Presse)

Die Ankerbrot-Fabrik mausert sich zum wichtigsten dezentralen Kulturzentrum Wiens: Die historische Industriehalle hat neue Betreiber, die Gewerbe und vor allem die Mangelware Kultur in den zehnten Bezirk bringen.

Wie eine schlappe, leere Blase hängt das Trumm von der Decke. Dann geht in Peter Sandbichlers Objekt das Licht an, und die Geschichte taucht wieder auf: die Ziffernblätter einer der wuchtigen „Würfeluhren“, die seit über 100 Jahren Wiens Stadtbild prägen – und seit 2007 sukzessive abmontiert und ersetzt wurden. Sie wurden von „Lichterloh“, dem Wiener Spezialisten für derlei Liebhaberstücke, gerettet. Zum 20. Geburtstag ließen die Betreiber zwölf Künstler wie Sandbichler, Gelitin, Elke Krystufek, Brigitte Kowanz oder Judith Fegerl mit den Uhren arbeiten. Die Ergebnisse werden seit Freitag präsentiert, gleich neben dem neuen „Lichterloh“-Standort in Favoriten, in der wundervollen ehemaligen Expedithalle der Ankerbrot-Fabrik.


Neuer Glanz. Hier schmilzt Sandbichlers Zeit besonders sinnfällig zu neuem Glanz. Seit 2009 wird das Backsteinbauten-Gelände liebevoll renoviert: Es mausert sich allmählich zu Wiens wichtigstem dezentralen Kulturzentrum. Unter dem Zeichen des Ankers versammeln sich Galerist Ernst Hilger, die „Lichterlohs“, Künstler Hans Staudacher, Kunstsammler Roman Fuchs und Fotospezialist Peter Coeln. Im Herbst wird der „Westlicht“-Gründer hier sein „Ostlicht“ für zeitgenössische, vor allem österreichische Fotografie eröffnen. Die Caritas wird eine Malschule für behinderte Hochbegabte einrichten, die deutsche Privatkunstuniversität Deutsche Pop ihre Kurse für Kunst und Medienberufe starten, ein Café und ein Restaurant sind in Planung. Eine weitere Galerie ist in Verhandlung: Walter Asmus von der hier federführenden „Loft City GmbH“ will nicht verraten, wer. Doch Wiens Galerieszene ist ein Dorf mit riesigem Tratschplatz – die internationale Galerie „Blain Southern“ mit Filialen in New York, London und Berlin zieht es angeblich in „die Anker“, wie das Gelände längst kurz und schick heißt.

Besucheransturm erwartet sich keiner der Mieter, die „Lichterlohs“ etwa betreiben nur einen Schauraum neben ihren Werkstätten. Aber Galerist Hilger schwärmt von der Qualität der gut 30 Besucher, die jedes Wochenende kommen. „Kuratoren und Sammler, die sich wirklich interessieren, kein Laufpublikum wie in der Innenstadt. Bei der Basler Messe erst habe ich erfahren, wer überhaupt schon alles da war“, von Ex-Art-Basel-Chef Sam Keller bis zu Kultkurator Hans-Ulrich Obrist. Hilger erwägt längerfristig, sein Zeitgenossen-Geschäft aus der City hierher zu verlegen. Was schade wäre für den Off-space-Charakter seiner „Brot-Kunsthalle“, die eben einen Überblick der interessantesten Kunst aus Ex-Jugoslawien zeigt.


Kulturachse erschließen.
Der Reiz der noch etwas verzaubert wirkenden Kulturfabrik im Arbeiterbezirk tat es auch Francesca Habsburg an. Sie ließ 2009 durchsickern, ihre Kunststiftung ebenfalls in die Anker übersiedeln zu wollen. Eine unausgereifte Idee, aber das 20er Haus, neben dem Habsburg jetzt den ehemaligen Berliner Kunsthallencontainer aufstellen will, ist nicht weit: Die Kulturachse wird sich mit Inbetriebnahme des neuen Zentralbahnhofs und der U2-Verlängerung in die Gudrunstraße hoffentlich erschließen. Davon ist Christof Stein von „Lichterloh“ überzeugt. In seinem Schauraum war früher die Ambulanz der Fabrik untergebracht. Von ihm geht ein Luftschutzkeller ab, der erst nach Vertragsabschluss entdeckt und den „Lichterlohs“ von den Betreibern „geschenkt“ wurde, erzählt Stein und strahlt. Das Klischee des gierigen Investors, der eine Gegend mit Kultur veredelt und dann ums Maximale verscherbelt, geht hier wohl nicht auf. Asmus, der mit den Architekten bzw. Ziviltechnikern Lukas Groh, Michael Wagner und Anton Wallner 2009 den Bieterprozess gewann, sagt eher Ungewohntes wie „Verantwortung unseren Vorfahren gegenüber“, „Förderung der freien Szene“, „behutsam sanieren“. Die „City Loft GmbH“ konnte das nur teilweise unter Denkmalschutz gestellte Gelände vor dem Abriss bewahren.

Aus zwölf Objekten hat man seither „den Kern der historischen Fabrik herausgeschält“, so Asmus im Baulärm. Die Infrastruktur wird hergerichtet, zu Jahresende soll man fertig sein, „mit dem Verkauf stehen wir bei 60 Prozent“, so Asmus. Der Break Even sei damit erreicht: „Die Behörden gehen davon aus, dass Gewerbe etwas Böses ist und weg muss. In Wirklichkeit ist es aber gerade das Gewerbe, das die Stadt belebt. Gerade im zehnten Bezirk fehlt das besonders.“ Vor allem Kultur ist Mangelware. Das gleicht das Netzwerk von Asmus und seiner Frau Maria Rennhofer aus. Sie haben bereits mit der Stollwerck-Fabrik Erfahrungen gesammelt. Für die Herausforderung „Anker“ gab es ein Schlüsselerlebnis. Während der Verhandlungen stand Asmus 2006 in London in der kathedralenhaften Turbinenhalle der Tate Modern: „Da habe ich auf einen Schlag gewusst: Die Anker, die wird es. Wir müssen das machen.“

Ein großer Vergleich. Aber immerhin: 1910 war die Anker-Expedithalle mit 2180 Quadratmetern die größte stützenfreie Halle Europas. Dreimal am Tag wurden Fuhrwerke mit Brot beladen; heute finden hier Ausstellungen, Malaktionen, Tanz- oder Opernuraufführungen statt. Den Gruppen wird je nach Förderung die Miete erlassen. Asmus: „Das ist unser Zugang zur Kunst hier.“ Es entsteht auch ein Buch über die Geschichte der Fabrik: „Wir wollen so ein Projekt nicht nur fertig machen, sondern die Architektur auch historisch aufarbeiten, das sind wir unseren Vorfahren schuldig.“ Sprach's und schnupperte – den Geruch der geschmolzenen Zeit, der 180 Tonnen frischer Weckerln und Brotlaibe, die im Südteil der Anker immer noch gebacken werden. Wie die Kunst – täglich frisch, in der Nacht.


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