Bizarre Kopflandschaften
Bilderreise. Erstmals wird in Admont die „Prinzhorn Collection“ in Österreich vorgestellt.
MARTIN BEHR ADMONT (SN). Das feingliedrig gestaltete Frauenporträt irritiert erst auf den zweiten Blick. Ein winziger Arm wächst aus dem voluminösen Oberkörper dieser von Heinrich Hack (1869–1936) mit Buntstiften gezeichneten Dame mit den blauen Augen und der Kräuselfrisur. Das Blatt ohne Titel ist einer der Höhepunkte der Präsentation der „Prinzhorn Collection“ im Museum für Gegenwartskunst im obersteirischen Benediktinerstift Admont.Zustandsgebundene Kunst Die gestern, Freitag, eröffnete Ausstellung ist eine Premiere, erstmals wird in Österreich eine repräsentative Auswahl von rund 120 Werken aus der legendären Sammlung des deutschen Psychiaters und Kunsthistorikers Hans Prinzhorn (1886–1933) gezeigt. Warum sich das Stift für die Zeugnisse zustandsgebundener Kunst interessiert? „Schon der heilige Benedikt war sehr in der Krankenpflege engagiert. Krankendienst ist eine besondere Form des Gottesdiensts“, erklärt Pater Winfried Schwab.
Mehr als 5000 Zeichnungen, Aquarelle, Texte und Tagebücher von 450 Menschen mit Psychiatrieerfahrung aus der Zeit von 1880 bis 1933 umfasst die in Heidelberg bewahrte Prinzhorn-Sammlung. Das 1922 erschienene Prinzhorn-Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ gilt als Standardwerk und fungierte als Inspirationsquelle für die klassische Moderne. Künstler wie Paul Klee, Alfred Kubin, Max Ernst, Pablo Picasso oder Jean Dubuffet nahmen mehr oder weniger deutliche Anleihen.Was ist krank, was gesund? Anliegen der Sammlung war und ist es, die „Kunst aus der psychopathologischen Ecke herauszubringen“, wie es Sabine Hohnholz von der „Prinzhorn Collection“ formuliert. Und: „Wir versuchen die Trennung zwischen gesund und krank zu überwinden.“ Die Admonter Ausstellung, die zuvor in Prag und Stavanger zu sehen war, ermöglicht eine Begegnung mit der Kunst und den Lebensgeschichten unter anderem von August Klett, Else Blankenhorn, Oskar Herzberg, August Natterer, Johann Knopf oder Gustav Sievers, dessen comicartige Bildgeschichten beeindrucken.
Besonders faszinierend: Die Geldscheine einer höchst subjektiven Währung von Else Blankenhorn, die bunten und skurrilen apokalyptischen Visionen von Oskar Herzberg („Erklärung über Erduntergang“), der poetische Surrealismus in den Arbeiten von August Natterer, die eigenwillige Titel wie „Antipapst der unsichtbare Feind Gottes in der Wolke“ tragen. Der Ausstellungsrundgang ermöglicht ein Eintauchen in Welten von überbordender Kreativität, in bizarre Orte und (Kopf-)Landschaften, deren Realität abseits gängiger Normen angesiedelt ist.„Entartete Kunst“ Kurator Michael Braunsteiner vom Admonter Museum verweist auf den Missbrauch der Prinzhorn-Sammlung im Rahmen der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ ab 1938 durch die Nationalsozialisten. Damals waren die Arbeiten der „Irrenkunst“ mit Werken zeitgenössischer Künstler wie Kandinsky, Nolde oder Chagall in Dialog gesetzt worden. Das Ziel: den „Wahnsinn expressionistischer, dadaistischer, gesellschaftskritischer oder ungegenständlicher Kunst“ zu zeigen. Zahlreiche Künstler, die in der „Prinzhorn Collection“ vertreten sind, fielen dem menschenverachtenden Euthanasieprogramm der Nazis zum Opfer.
„In der Nazizeit sollte Kunst auch vom kleinsten SA-Mann verstanden werden. Ähnliche Ansichten sind auch heute wieder vereinzelt zu hören“, sagt Braunsteiner. Der Kurator hofft, dass durch die Ausstellung Toleranz und Offenheit forciert werden.Prinzhorn Collection im Stift Admont: bis 8. 11., www.stiftadmont.at