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Kunstberichte
Die indische Kunstszene boomt: Ausstellungen in Wien und Linz folgen dem Trend der vergangenen Jahre

Entfesselter Tiger, ganz handzahm

Suresh K. 
Nair, "Cosmic Butterfly" (2010) in Anlehnung an Wandmalereien 
im südindischen Kerala. Acryl auf Leinwand. Foto: Mischa Nawrata

Suresh K. Nair, "Cosmic Butterfly" (2010) in Anlehnung an Wandmalereien im südindischen Kerala. Acryl auf Leinwand. Foto: Mischa Nawrata

Von Manisha Jothady

Aufzählung Zwei Ausstellungen befassen sich mit indischer Gegenwartskunst.
Aufzählung Boom am Kunstmarkt getragen durch die indische Mittelschicht.

Wien. Als der Schriftsteller Rabindranath Tagore 1913 den Literaturnobelpreis erhielt, besaß das spirituelle Indien jene Anziehungskraft, die im Gefolge des Hesse-Fiebers und der Hippie-Bewegung in den 1960er Jahren eine Renaissance erlebte. Indienreisende werden auch heute noch erstaunt sein, wie sehr das Land der krassen Gegensätze so manches Klischee erfüllt, das ihm trotz des enormen Globalisierungsschubs noch immer anhaftet.

Seit den neunziger Jahren entsteht ein Indien, das mit seiner beinahe schlagartigen Internationalisierung von Kapital, Konsum und Medien auch die Kunstszene nachhaltig verändert. Großstädte wie New Delhi, Mumbai und Bangalore verfügen mittlerweile über eine Galerienlandschaft für zeitgenössische Kunst, die auch international wahrgenommen wird. Seit August 2008 hat die Hauptstadt des Landes mit der Devi Art Foundation ein Museum für Gegenwartskunst. Und 2013 soll in Kalkutta, bekannt als eine der ärmsten Städte der Welt, ein Museum of Modern Art stehen.

Indiens Wirtschaft boomt und das Bild vom entfesselten Tiger überträgt sich auf den internationalen Kunstmarkt. Die Preise für indische Kunst der Nachkriegszeit haben sich nach dem Hype um die Kunst aus China vervielfacht. Im Westen lebende indische Sammler wie der New Yorker Börsenspekulant Radjiv Chaudry, aber auch Prominente kaufen seit Jahren Kunstwerke indischer Provenienz, deren Auktionspreise die Schallmauer von einer Million US-Dollar bereits durchbrochen haben. In Indien selbst ist es vor allem die 300 Millionen Menschen starke Mittelschicht, die den heimischen Kunstmarkt am Laufen hält.

Trendscouts wurden fündig

Von der Vitalität der indischen Gegenwartskunst angelockt, bereisen westliche Sammler und Galeristen, Biennale- und Dokumentaleiter, Museumsdirektoren und Kuratoren den Subkontinent. Nach Hause kommen sie mit Neuentdeckungen. Die zahlreichen Überblickspräsentationen der letzten Jahre, egal ob sie in London, New York, Paris oder Berlin stattgefunden haben, belegen, dass die Trendscouts der Kunstszene ein neues Terrain für sich erobert haben. Namen wie Suboth Gupta, Amar Kanwar, Bharti Kher oder Dayanita Singh sind im internationalen Ausstellungszirkus längst keine Unbekannten mehr. Und obschon sich ein erster Hype um die Kunst der Marke "made in India" bereits zur Jahrtausendwende angekündigt hat, scheint er nach wie vor ungebrochen.

In Österreich nahm die Kunsthalle Wien unter dem Titel "Kapital und Karma" bereits 2002 einen Trend vorweg, dem vereinzelt Protagonisten der Wiener Kunstszene folgten. Francesca Habsburg arbeitete im Rahmen ihrer Stiftung TBA21 in jüngster Vergangenheit immer wieder mit Künstlern aus Indien. Eine Vorreiterrolle innerhalb der Galerienszene nimmt Ursula Krinzinger ein. 2008/09 realisierte sie eine Ausstellungsreihe mit Künstlern aus Bangalore, Mumbai und New Delhi. Auch der heutige Abend steht in zwei heimischen Institutionen ganz im Zeichen Indiens. Das Offene Kulturhaus Oberösterreich in Linz eröffnet eine Soloschau mit Shilpa Gupta. Die 1976 in Mumbai geborene und dort lebende Künstlerin zählt derzeit zu den bedeutendsten indischen Kunstschaffenden der jüngeren Generation. Konsumkultur, Begehren, Religion, Sicherheit, Militarismus und Menschenrechte, soziale Ungleichheit und Machtpolitik sind die Themen ihrer Arbeiten, die sie in Form von Videos, Fotografien, Objekten, Soundinstallationen und Performances präsentiert.

Das Essl Museum in Klosterneuburg bekundet dagegen mit der Gruppenausstellung "India Awakens. Under the Banyan Tree" schon zum zweiten Mal sein Interesse an der indischen Kunstszene. Die Schau knüpft mit 34 – hierzulande unbekannten – Positionen an die Ausstellung "Chalo! India" im Vorjahr an, in der viele der mittlerweile renommierten Künstler vertreten waren.

Im Gegensatz zur Präsentation 2009, die unter der Obhut japanischer Kuratoren eine Übernahme des Mori Art Museum (Tokio) war, verdankt sich "India Awakens" der Zusammenstellung einer Insiderin der indischen Kunstszene. Kuratorin Alka Pande gibt dem Besucher keinen schlafenden Elefanten und keine großformatigen Klebebilder aus glitzernden Bindis zu sehen. Vielmehr verortet sie die Kunst ihres Heimatlandes zwischen Tradition und Moderne und scheint dementsprechend vorderhand den Spuren zu folgen, welche die indische Kunst- und Kulturgeschichte in der Formensprache der Zeitgenossen hinterlassen hat.

Klischees auf Reispapier

Wie sehr traditionelles Kunsthandwerk auch in die Produktion zeitgenössischer Artefakte einfließt, verdeutlichen etwa die Arbeiten von Suresh K. Nair und Manisha Jha. Nairs "Cosmic Butterfly" ist ganz im Stil der Wandmalerei-Technik gehalten, wie man sie im südindischen Kerala, der Heimat des Künstlers, wiederfindet. Jha behandelt in ihren Arbeiten weibliche Rollenklischees und greift dafür auf das Erbe der Mithila-Malerei zurück, bei der Naturpigmente auf Reispapier aufgetragen werden. In Arbeiten wie diesen mag man das "typisch Indische" vorerst vollends bestätigt sehen. Um der ironischen oder kritischen Untertöne gewahr zu werden, bedarf es schon der genaueren Betrachtung.

So verbirgt sich hinter dem "Massage Table" von Riyas Komu nicht nur ein Werk feinster Kunstschnitzerei, sondern auch Kritik am Körperkult und an gesellschaftlichen Zwängen. Mit Blick auf die Hindu-Mythologie beeindruckt vor allem die Video-Installation von Babtist Coelho: Eine endlose, mit Verhaltensregeln bedruckte Stoffbahn wird darin von einer Spule abgerollt.

Doch trifft man in dieser Ausstellung nicht nur auf Arbeiten, die in landesspezifischen Belangen verfangen sind. So sprechen etwa die abstrakten Malereien von Gurdeep Singh und jene von Antonio Puri eine universelle Sprache. Auch in Prajakta Potnis’ Alltagsobjekten kommen menschliche Befindlichkeiten zum Ausdruck. Dagegen nimmt Raj Kumar Mohanty mit seinem Gemälde "The Lovers" konkret Bezug auf René Magritte. Somit zeigt sich die Vielgesichtigkeit indischer Gegenwartskunst auch in der Anpassung an die Bedürfnisse eines globalen Kunstmarkts. Stellt sich noch die Frage, wie landestypisch die Kunstproduktion einer Nation mit 31 Bundesstaaten und 22 Sprachen überhaupt sein kann.

"India Awakens. Under the Banyan Tree", Essl Museum, Klosterneuburg: 26. Nov. 2010 bis 27. Feb. 2012. *
"Shilpa Gupta: Ein halber Himmel", OK, Linz: 26. Nov. 2010 bis 30. Jänner 2012.



Printausgabe vom Donnerstag, 25. November 2010
Online seit: Mittwoch, 24. November 2010 19:30:00

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