Austeilen mal zwei: Detail aus "Leni" von Lecomte ...
...und ein Nazi-Sammelpickerl aus der Kameric-Serie "Embargo till 11": Es zeigt einen Hilfszug für NS-Truppen 1938.
Beide erzählen Geschichten von Fotografien: Gewalt, Macht und Dekonstruktion in Nahaufnahme und von hinten betrachtet.
Graz - Ein Bild anschauen, ist Arbeit, wenn man es ernst nimmt. Auf Details achten heißt auch, das zu dechiffrieren, was hinter großen Posen oder flüchtigen Bewegungen versteckt eine Parallelgeschichte erzählt.
Tatiana Lecomte nimmt in ihrer Serie Stills, die in der Camera Austria in Graz gezeigt wird, aus Bildern, die sie nicht gesucht hatte, aber irgendwann fand, einzelne Abschnitte unter die Lupe. Sie zeigt diese neben einander, so dass der Eindruck einer Filmszene entsteht, in die man sich hinein- und hinauszoomen kann.
Da sieht man etwa eine weiße Hand und afrikanische Kleinkinder. Bemalt die große Hand die kleine? Erst auf größeren Ausschnitten des Bildes sieht man: Leni Riefenstahl, Hitlers Lieblings-Propagandafilmerin, die mit ihrer Reichsparteitagtrilogie die Bildästhetik der Nazi-Diktatur prägte, und später als unpolitische Künstlerin durchgehen wollte, die nichts von Verbrechen wusste.
In den 1960er-Jahren entdeckte Riefenstahl ihre nach der Begeisterung alter Kolonialherren für den Typus des Edlen Wilden riechende "Liebe" für Afrika, konkret für Stämme der Nuba. Einige von ihnen besuchte sie bis in die 1970er im Sudan mehrmals wochenlang, um sie zu fotografieren.
Aus dieser Zeit stammt das Bild, auf dem Riefenstahl Kindern Essen gibt. Genaue Details über die Umstände der Situation interessieren die 39-jährige, in Bordeaux geborene und in Wien lebende Lecomte nur bedingt. Es waren "Gesten der Macht", die sie in der Arbeit Leni oder in den anderen Stills herausarbeitet: In Kadavergehorsam ist eine ebenso kleine Geste im Bild, in der ein ranghöherer Wehrmachtssoldat dem Untergebenen zeigt, wie er korrekt zu salutieren hat. Fast zärtlich scheint hier ein Mann den anderen zu berühren, wenn man nur die Hände im vergrößerten Ausschnitt sieht.
In einer anderen Arbeit setzt sich Lecomte mit einer weiteren Ebene des Mediums Fotografie auseinander: Sie vergrößerte Aufnahmen von Hautkrankheiten aus einem alten medizinischen Lehrbuch. Aufgeblasen auf fast zwei Quadratmeter wird der Raster der ursprünglichen Reproduktion und damit die Geschichte des Zirkulierens der Bilder sichtbar. In den grobkörnigen großflächigen Arbeiten werden die unappetitlichen dermatologischen Auffälligkeiten völlig abstrahiert.
Das angeblich einzige Farb-Dia von der Zerstörung des Warschauer Ghettos vergrößerte Lecomte nicht nur bis zur Unkenntlichkeit, sondern zerlegte es auch. Die Einzelteile schweben wie eine Aschewolke auf einer Wand der von Reinhard Braun und Maren Lübbke-Tidow kuratierten Schau.
Den zweiten Teil der Ausstellung bestreitet die in Berlin lebende Bosnierin Sejla Kameric, die mit älteren Arbeiten auch im eben erschienenen Heft Camera Austria (Nr. 112) vertreten ist, mit einer brandneuen Installation. Wieder steht man vor Bildern aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts, aber diesmal wird neben der Geschichte des Zirkulierens auch die politische Geschichte miterzählt. Allerdings erst, wenn man sich bückt, unter Holzstellwänden durchkriecht und auf deren Rückseite den historischen Kontext zu den winzigen Schwarzweißfotografien entdeckt.
Die 34-jährige Kameric nimmt die Themen Krieg, Gewalt Macht und Nationalismus seit der Belagerung ihrer Heimatstadt Sarajewo in ihren Arbeiten immer wieder auf. In der Serie Embargo till 11 zeigt sie auf 25 Posterständern je einen kleinen Aufkleber aus der Seire "Adolf Hitler und sein Weg zu Großdeutschland", die von der damaligen Austria Tabakwerke AG ab 1940 herausgegeben wurde.
B-Seiten der Geschichte
Die Menschen und Orte auf der Vorderseite der Klebebildchen, zu denen es ein Sammelalbum für eine Reichsmark gab, befreit Kameric aus ihrem Originalzusammenhang. Sie kommentiert die kleinen Bilder mit Zitaten aus Songtexten (von Leonard Cohen über Lou Reed bis U2). Auf der Rückseite der Aufkleber (und eben auch Stellwände) sind Stationen aus Hitlers privatem und politischen Leben nachzulesen. So steht etwa unter einer politisch unverdächtigen Felsformation, die das Pech hatte im "Ahnengau", also im Waldviertel, aus dem Hitlers Vater stammte, zu stehen, ein Zitat aus Bob Dylans Like a Rolling Stone: "You're invisible now, you got no secrets to conceal." (Colette M. Schmidt/ DER STANDARD, Printausgabe, 27.1.2011)
Bis 3. 4.
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