Wunden der Identität

 

 

Zwei neue Videoarbeiten der Belgrader Künstlerin Milica Tomic und eine Personale im Innsbrucker Taxispalais

 

 

Georg Schöllhammer

 

 

 

Die zwei neuen Videoarbeiten der Belgraderin Milica Tomic, die diesen Winter im Innsbrucker Taxispalais zu sehen sind, thematisieren die komplexen Beziehungen zwischen Identitäts- und Geschlechterpolitiken, Nationalismus und Rassismus, und die Möglichkeit über sie als Dispositive eines antagonistisch sozialisierten Subjekts zu sprechen. Die erste trägt den ebenso einfachen wie verfänglichen Titel »Portrait meiner Mutter«. In ihr politisiert Tomic die Biografie ihrer Mutter als exemplarische, differenziert aber gleichzeitig den Kontext nationalistischer Emphase im heutigen Jugoslawien anhand ihrer Autobiografie als die Trennungs- und Ganzheitsfantasien eines Eltern-Kind Verhältnisses.

Eine Kamerafahrt durch Belgrad an einem trüben Sommertag nach dem Ende des NATO-Bombardements, von der Wohnung der Künstlerin zu der ihrer Mutter in Echtzeit: Dieser Weg durch das Zentrum der Stadt zur Wohnung der Mutter in einer modernistischen Trabantenstadt aus der Titozeit an der Peripherie - vorbei an muslimischen Siedlungen aus der Jahrhundertwende und einem von NATO-Bomben getroffenen Wohnhaus - überblendet ein zentrales Motiv der Gespräche der beiden Protagonistinnen mit architektonischen Figuren im Stadtraum: Das Motiv des - verlorenen - Modernismus. In ihm verdichten sich die Widersprüche, von denen das Band auch handelt. Die Diskurse - und die Bauten - des titoistischen, jugoslawischen Modernismus tragen ihr Verfallsdatum wie ihre noch immer wirksamen Utopien sicht- und hörbar in sich eingeschrieben mit.

Tomics Mutter, eine für ihren abstrakt-minimalistischen Stil bekannte Theater- und Fernsehschauspielerin (u.a. als Hauptdarstellerin der beliebten Serie »Der demütige Bürger«) hatte sich nach persönlichen und beruflichen Krisen Ende der Siebziger von der Bühne zurückgezogen und begonnen Tapisserien zu weben, jetzt nahezu spirituell besessen von Ideen des Natürlichen, Organischen und der - serbischen - Tradition und Religion. Es waren die Jahre der Pubertät und Adoleszenz ihrer Tochter, in die auch das Auftauchen der ersten Zeichen eines ausbrechenden ethnischen Nationalismus und der Kritik der Teilrepubliken am verfassungsmäßigen anti-rassistischen Konsens des Staates fielen. Marija Milotinovic, die Mutter, ließ sich damals zudem von ihrem zweiten, muslimischen Mann scheiden. Diese doppelte Repräsentation einer Identitätskrise der Mutter - im Dialog mit der Tochter zum Beispiel nacherzählt als Auseinandersetzung über die korrekte Aussprache des Vornamens eines Kindermädchens, also über dessen ethnische Zugehörigkeit - und deren Konfrontation mit den flexiblen und performativen Identitätskonzepten der Tochter spiegelt sich gleichsam in den Räumen, die die Tochter durchschreitet, um im Haus der Mutter anzukommen - einem Haus, das nicht nur in seiner Architektur die Projektion einer Zukunft repräsentiert, die in der Belgrader Gegenwart desavouiert erscheint. Wie um das Trauma dieser Entwicklung im Unbewussten abzuarbeiten, schneidet Tomic an Bruchstellen der Erzählung Passagen von Schwarzfilm mit bildhaft-geräuschvollen Tonsequenzen ein und schaltet auf Zeitlupe, wenn ihr zufällig Personen in den Weg treten, deren Biografien mit jener der Mutter verwoben sind.

Der erste Blick auf die lapidaren Einstellungen der subjektiven Kamera - und der amikale, kolloquiale Ton des Gesprächs, in das auch eine Freundin der Mutter eintritt - suggerieren, dass es in diesem Portrait um die Darstellung eines unsentimentalen, von Verständnis getragenen Verhältnisses zweier Frauen verschiedener Generationen geht, dessen Ort nur zufällige Kulisse ist. Am Ende des einstündigen Videos tritt Tomic selbst ins Bild: die beiden Frauen umarmen sich. Die Kameraeinstellung zeigt lange das Gesicht der Tochter und dann die Gestalt der Mutter von hinten und dann eine fast demütige Geste: die Mutter küsst mehrmals die Hand der Tochter.

Eine Diaprojektion als zweiter Teil der Installation dechiffriert unter anderem den symbolischen Gehalt dieser Geste: Die Mutter repräsentiert auch das vielfach gebrochene Verhältnis der Tochter zu Serbien. Sie ist Serbien. Tomic, als anitrassistische Tito-Partisanin sozialisiert, blendet hier die Marken ihrer Trennungsgeschichte von der Mutter, die ihre Identität gewechselt hat, ein: das oft reproduzierte Historienbild der »verlorenen« Schlacht am Amselfeld; einen kolorierten Kupferstich, der einen über und über tätowierten albanischen Prinzen aus dem 19. Jahrhundert zeigt; die anatomische Darstellung der richtigen Verwend-ung eines Tampons.

Anders als im »Portrait der Mutter« geht Tomic in der zweiten neuen Videoarbeit ihrer Personale (13. November bis 9. Jänner 2000) mit der Verortung der Distanz zwischen biografischen, sozialen, geschlechtsspezifischen und nationalen Identitätskonstruktionen um. Wie eine Revolutionsheroine in Erinnerung an die historischen Prozesse in denen Aufklärung, Moderne und Nationalstaat gemeinsame Wurzeln haben, skandiert sie in »Ich Milica Tomic« in den Landessprachen von 65 Staaten: »Ich bin Milica Tomic, ich bin Österreicherin«, »Serbin«, »Britin«, »Koreanerin«. Jeder dieser identifikatorischen Sätze bricht in einer Wunde aus und zieht eine blutige Spur ihren Körper entlang. Die vermeintlich eindeutige und natürliche - nationale - wird zu einer schmerzend vieldeutigen - konstruierten - Identität.

 

   

 

 

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