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Wohin geht Wiens Szene?

01.07.2010 | 18:39 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Nach sieben Jahren stellt die Secession wieder eine Folge der „Jungen Szene“ auf haarige Beine und vor einen Scheideweg.

Cheerleader sind Klischeeträgerinnen – jung, weiblich, dumm, oder? Dann haben Sie noch nie von „Radical Cheerleading“ gehört. In der Secession kann man diese politisierte Variante der amerikanischen Tradition jetzt per Video auch sehen: „North east west south/the rich stay in the poor stay out/you've built this massive wall/with our chants/with our dance/we're gonna make it fall“ skandiert die einzige gemischtgeschlechtliche Cheerleader-Gruppe Wiens; angestiftet von Anna Witt, einer jungen deutschen Künstlerin, die in Wien lebt und arbeitet.

„Lebt und arbeitet“ heißt auch die Ausstellungsreihe der Wiener Kunsthalle, die seit 2000 alle fünf Jahre einen Blick auf die Wiener Szene werfen lässt. „Junge Szene“ wiederum nannte man schon 1984 in der Secession eine ähnliche Veranstaltung. Sie materialisiert sich allerdings nur in unregelmäßigen Abständen, zuletzt 2003. Und darf sich auch nicht immer so nennen, was von einem eher schrägen Markenbewusstsein kündet.

So versteckt sich die „Junge Szene“ diesmal hinter dem – von Martin Luther King entlehnten – Allerwelts-Biennalen-Motto „Where do we go from here?“. Was zumindest schon auf die drei Thesen hindeutet, die Kuratorin Elisabeth Bettina Spörr bei ihrer Recherche begleitet haben: die Mobilität, die von jungen Künstlern heute gefordert wird. Das Faktum, dass Frauen im Ausstellungsbetrieb immer noch nicht gleichberechtigt repräsentiert sind. Und die Rolle Wiens als Profiteur eines neu entstandenen Lebensraums Zentraleuropa.

 

Wien, Sammelbecken der Jungen

Tatsächlich: Wien ist durch seine zwei blendend beleumundeten Kunstuniversitäten in den vergangenen Jahren zu einem Anziehungspunkt für junge Künstler aus ganz Europa geworden. Vor allem die international besetzten Professuren auf der Akademie am Schillerplatz (Monica Bonvicini, Daniel Richter, Marina Grzinic, Pawel Althamer) sind attraktiv. Die Galerien können diesem Zuwachs gerade in Krisenzeiten nicht gerecht werden. Was zur Folge hat, dass sich die Studierenden vermehrt selbst organisieren – unzählige Kunsträume sind aus dem Boden geschossen, bilden ein intellektuelles Netzwerk, in dem viele erst einmal hängen bleiben, bis sie sich wieder fragen: „Where do we go from here?“

Einfach einmal mitten hinein in den Hauptraum der Secession, den Christoph Meier wie bei den historischen Secessions-Ausstellungen mit Kojen und Wänden zugebaut hat. Von einem Aussichtsturm mit angedeuteten Schießscharten bekommt man einen guten Überblick über die Ausstellung, die vor allem Konzeptkunst, Objekte und Installationen umfasst, klassische Malerei etwa spielt gar keine Rolle.

Traditionen werden eher dazu verwendet, um Traditionen zu brechen: Nilbar Güres' (*1977) unglaublich starke Collagen etwa gleich am Beginn. Aus Stoff nähte die in der Türkei geborene Künstlerin ein Tabu zusammen, die „Selbstdefloration“. Auch ihre fein gezeichneten Figuren sind irritierend sexualisierte Mischwesen, an ihren haarigen Füßen kleben etwa Brüste, ein Finger wird zum Penis.

Irritierend auch die Werbekampagne, die Käthe Ivansich (*1983) in den Karlsplatz-Aufgang zur Secession hängte: „Manche Mädchen bluten öfter als einmal im Monat“ zeigt zwei gestylte Frauen, übersät mit Schürfwunden. In der Ausstellung selbst zeigt Ivansich die passenden Accessoires: Skateboards mit flotten Sprüchen. Angekreidet wird hier die allein auf Männer abzielende Skateboard-Industrie.

 

Schwangere Flaschen

Kryptischer bleiben die dysfunktionalen Keramiken von Liliana Basarab: schwangere Flaschen, siamesische Fußballzwillinge. Ein wenig im Abseits sind hier die Männer sowieso: etwa im Abstellkammerl, wo Ciprian Muresan eine Gruppe Soldaten Erdäpfel schälen lässt. Ein anderes Video, von Philipp Fleischmann, gibt es da dramatischer: Durchgespielt wird ein Schicksalsmoment der jugendlichen Spaßgesellschaft. Eine ausgelassene Freundesschar überfährt ein Reh. Was tun? Und wohin weitergehen?

Bis 29.8., Di.–So. 10–18h


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