Nur nicht stehenbleiben

01. Juli 2010, 19:43
  • Artikelbild: Stufe um wackelige Stufe die Künstlerkarriere erklimmen? Arbeit von Eva Kotatkova im Foyer der Secession. - Foto: Secession / W. Thaler

    Stufe um wackelige Stufe die Künstlerkarriere erklimmen? Arbeit von Eva Kotatkova im Foyer der Secession.

"Where do we go from here?" titelt die Ausstellung in der Secession programmatisch: Das Haus versammelt Künstler am Sprung

... und schließt damit an ein Format der "Jungen Szene"-Schau an, das man zuletzt 2003 bediente.

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Wien - Mit dem Boot hinaus aufs offene Meer. Eine Partie am Schwarzen Meer, die keine sechs Minuten später vorbei ist. Das Gefährt von Adrien Tirtiaux ist aus Karton: Unmöglichkeit eins. Ein anderes Mal flüchtet der Künstler mit einer Art Minimalraum, in welchem er wie in einem "Big Brother"-Camp ebenso wie sieben andere Künstler fast drei Wochen als Artist-in-Residence verbracht hat. Die Schlafkabine lädt er auf ein Boot und macht sich samt Schneckenbox auf den langen Weg zum Meer: Unmöglichkeit zwei.

Oder: Man baut sich auf den Stegen im Innenraum eines verlassenen Kühlturms einen Unterschlupf. Ein privilegierter Platz unter freiem Himmel, allerdings ohne Verbindung zur Außenwelt. Ein Inseldasein: Unmöglichkeit drei. "Where do we go from here?" heißt diese Arbeit von Adrien Tirtiaux, die damit auch die essenzielle und titelgebende Frage für die sogenannte Junge Szene-Schau der Secession formuliert: Wohin geht es? Wo liegt die nächste Station der noch frischen Künstlerlaufbahn? Auch im sehr unmittelbaren, wörtlichen Sinn.

Denn die Anforderungen des Arbeitsmarkts - Flexibilität und Mobilität - gelten für den Kunstschaffenden doppelt: Es gilt einzutauchen in einen Kreislauf von Studienaustauschprogrammen, von Arbeits- und Atelierstipendien sowie Residencies. Stationen, die absolviert gehören und sich in den Biografien karrierebildend Zeile um Zeile absetzen. Auch die 30 jungen Positionen, die Kuratorin Elisabeth Bettina Spörr versammelt hat, werden zunächst einmal über diese papiergewordenen Stationen definiert, die sich jeweils auf einer halben, einer oder gar zwei Seiten versammeln. Bald kommt eine Zeile dazu: 2010, Secession, Wien.

Die Stationen werden zu den Argumenten, die auch die Kritiker von Berufs wegen gerne repetieren, um die Bedeutung der künstlerischen Positionen zu betonieren, ihrer Gestalt Halt zu verleihen. Auch bei den "Etablierten" wird mit Preisen, Bi- und Triennalen, Documen- und Manifestas unterfüttert. Wer schafft es, aus dieser Routine auszubrechen?

Freilich wird in der Ausstellung der "Standortwechsel" auch im übertragenen Sinne als "Standpunktwechsel" thematisiert: Wohin gehen wir im neuen, gemeinsamen Lebensraum Zentraleuropa? Die Frage eines kollektiven "Wir", die der Schau letztlich einen politischen Shift gibt. Sie verweist auf Martin Luther Kings in Where do we go from here? Chaos or Community? formulierte Vision. Allesamt Ausgangsüberlegungen, die sich als Hintergrundmusik für das Betrachten der höchst heterogenen Arbeiten eignen. Welche Position aber hier letztlich textlich herausfischen?

Mantra am Mittelstreifen

Vesna Bukovec etwa, die absurd-selbsterklärende Zeichnungen menschlicher Krisen fertigt: Ein Mann liegt todessehnsüchtig quer über dem Mittelstreifen einer Straße, darunter seine zu repetierenden Mantras: "First: I can find my happy place. Second: The sky is the limit for me. Third ..." Oder Anna Witt, die sich mit einer Protestbewegung beschäftigt hat, die Cheerleading-Techniken (Sprechchöre, Akrobatik) nutzt, um ihre Anliegen effektiver zu gestalten. Oder Nilbar Güres, die in eindringlichen textilen Collagen und Zeichnungen geschlechtsspezifische Riten und Praxen reflektiert.

Oder Ekaterina Shapiro-Obermair, die eine Sammlung von 33 bunten Haarspangen präsentiert. Stücke, die ein "Wiener Original" auf der Straße von Frauen erbeten hatte und die nun nicht nur "Sammlung" und "erweiterte Autorenschaft" thematisieren, sondern auch andere Formen der Skulptur im öffentlichen Raum andenken.

Oder Jan Nalevka. Alle europäische Flaggen hat er immer wieder gemeinsam gewaschen. Verwaschen! Mit den Hymnen verfuhr er ebenso wenig zimperlich. Also: Zusammenwa(s)chen! (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Printausgabe, 2.7.2010)

 

Bis 29. 8.

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