Der Aufstieg in das Secessionsgebäude ist an
sich schon ein Aufstieg in eine utopische Welt, die gestern mit jenen
Ideen vom neuen Menschen zusammenhing, die am "Monte verità" bei Ascona
zum Leben als Gesamtkunstwerks entstanden.
Heute muss die Lesart der Beiträge von
Stan Douglas, Midori Mitamura und Judith Hopf jedoch mehr die Kritik im
künstlerischen und gesellschaftlichen Bereich beachten als die
Reflexion auf die Kunstgeschichte. Die Schau ist außerdem in
Kooperation mit dem "Monat der Fotografie" entstanden und zeigt sich
als differenzierte Spiegelung der zeitlichen Sprünge, die das Medium
heute zu leisten im Stande ist.
Verlorene Zeit
Als Raumbild-Installation hat die Japanerin Midori Mitamura im
Grafischen Kabinett mit "Green on the Mountain" eine gefundene
Fotografie aus den Dreißigerjahren zum Anlass genommen, einen neuen
Monte verità zu konstruieren. Im grünen Kunstlicht läuft denn auch eine
Uhr rückwärts, und verschiedene Familienfotos konstruieren gemeinsam
mit einer Modelllandschaft einer Hütte auf einem bewaldeten Hügel eine
eigene Gegenwart von abwesenden Personen.
Der Hinweis auf die verlorene Zeit ist auch durch eine rotierende
Scheibe mit Blättern, einen Plattenspieler und einen zum Brunnen
mutierenden Spiegel immer auch Reflexion auf die Eigenschaften des
Mediums Fotografie.
Im Hauptraum läuft der Sechstagefilm "Klatsassin" des mehrfachen
Documenta-Beiträgers Stan Douglas, ein "Dub Western", der sich auf die
Goldgräberzeit wie auf Akira Kurosawas Film "Rashomon" bezieht. Gleich
wiederkehrenden Motiven eines Musikstücks werden Handlungsstränge
zeitlich verschoben und verdichtet.
Vieldeutige Aussagen
Am Ende ist der Mord an einem Mann in der Einsamkeit so vieldeutig
wie die Aussagen der handelnden Personen – diese werden im linken
Seitenschiff wie in frühen amerikanischen Schwarzweißfotografien als
Einheimische und Fremde porträtiert, im rechten zeigt Douglas
filmleinwandgroße Farbfotografien konkret lokalisierbarer Orte in
British Columbia.
Fragmente der Wahrheit
Weites Land, Buchhandlung oder Friedhof sind alle menschenleer. Was
bleibt sind Fragmente verschiedener Wahrheiten, die je nach Individuum
konstruiert sind, und damit auch der Hinweis auf die Konstruktion jedes
Bildes.
In der Galerie stellt Judith Hopf ihre Skepsis gegenüber der
"Tyrannei des Gleichen" in unseren Gesellschaften durch kritische
Beobachtung von Alltagssituationen vor: wer durch einen Parcours von
Spiegelwänden und Bambusstangen aus gestapelten Trinkgläsern in den
großen Raum vordringt, erlebt Unheimliches. Das Video "Hospital Bone
Dance", ist in Koproduktion mit Deborah Schamoni 2006 entstanden und
entführt uns in eine fiktive Krankenhauswelt, in der die verunfallten
Personen mit ihren Kopf- und zuweilen mumienartigen Ganzkörperverbänden
wild zu tanzen beginnen.
Absurdes passiert
Das Absurde passiert im Kopf oder vor den Augen einer
Krankenschwester, deren kontrollierte Welt vollkommen aus den Fugen
gerät. Das Unbehagen an geregelten Machtsystemen wird durch den bösen
Witz der deutschen Künstlerin erst richtig fühlbar. Da könnte sogar der
alte Erziehungsspruch "Wer nicht hören will, muss fühlen" dahinter
stecken.
Ausstellung
Douglas,
Mitamura und Hopf
bis 21. Jänner 2007
Secession
Paradoxes.
Montag, 27. November 2006