Die neue, bis 15. April 2012 laufende Jahresausstellung nennt sich im irreführenden Übertitel Das frühe Werk.
Mistelbach - Die Ansicht, dass ein reißerischer Titel die halbe Miete ist, hat sich bis nach Mistelbach durchgesprochen: Die Jahresausstellung 2010 des Hermann-Nitsch-Museums hieß großspurig Meisterwerke aus der Duerckheim Collection. Zu sehen waren aber fast ausschließlich Arbeiten aus den 1980er-Jahren, damals vom deutschen Grafen Christian Dürckheim en gros angekauft und dann vornehmlich im Keller gelagert.
Heuer zeigt man erneut Meisterwerke aus dieser in Österreich bisher wenig bekannten Sammlung - darunter auch "Sachen", so die Ausdrucksweise des Grafen, aus anderen Jahrzehnten. Die Essenz der Duerckheim Collection schien den Kuratoren aber wohl nicht einzigartig genug: Die neue, bis 15. April 2012 laufende Jahresausstellung nennt sich im irreführenden Übertitel Das frühe Werk.
Es ließe sich nun trefflich darüber streiten, wann beim Erfinder des Orgien-Mysterien-Theaters das Frühwerk vom Hauptwerk abgelöst wurde. 1968, als Nitsch, der aufgrund seiner Aktionen mit den Behörden in Konflikt geriet, nach Deutschland ging? 1971, als er Schloss Prinzendorf erwarb? Oder erst 1972, als Nitsch an der Documenta 5 teilnehmen durfte? Sicher aber nicht in den späten 80er-Jahren. Dennoch dominieren die "Sachen" aus jenem Jahrzehnt. Sie waren auch schon in der Meisterwerke-Schau zu sehen gewesen.
Sicher, die weihevolle Inszenierung großformatiger Schüttbilder ist äußerst geglückt. Der Hauptraum mit dem Kreuzwegfries über die gesamte Länge und mehreren Beispielen aus den kräftig-bunten Zyklen Die sieben Fußfälle (1989) nimmt gefangen. Auch die "Kapelle" mit den Relikten der 22. Malaktion in der ehemaligen Grazer Galerie Hoschek (1987) vermag zu überzeugen. Und geglückt ist die Kombination der Kernstücke anderer Aktionen (darunter Château d'Orion 1987 und Sydney Biennale 1988) im hintersten Saal.
Das frühe Werk aber versteckte man - zum Beispiel im Grafikkabinett. Obwohl grandiose, unverbrauchte Arbeiten zu sehen sind, darunter etliche kleinformatige Reliktmontagen auf Jute mit Monatsbinden und anderen Applikationen aus den Jahren 1962 bis 1964 und ungewöhnliche, farbintensive Bilder aus getropftem Wachs (1960). Allein schon wegen dieser paar Raritäten lohnt eine Anreise.
Eine gute Gelegenheit bietet sich am Pfingstsamstag um 17 Uhr: Nitsch und Michael Fleischhacker reden über den Roman Gegen den Strich von Joris-Karl Huysmans. Tags darauf gelangt um 11 Uhr das 4. Streichquartett von Nitsch zur Uraufführung. Und danach, um 13 Uhr, lädt der Meister zum Pfingstfest auf sein Schloss. (Thomas Trenkler, DER STANDARD/Printausgabe 30.5.2011)
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