01.06.2001
17:01 MEZ
"Schweigen kann mitunter tödlich sein"
Vor einer politisch gespannten Biennale: Kommissärin Elisabeth Schweeger im Gespräch
Foto: APA/dpa/Frank Leonhart
 
 

Elisabeth Schweeger präsentiert als Kommissärin Österreich auf der Biennale Venedig die Gruppen Gelatin und Granular Synthesis. Im Gespräch mit Thomas Trenkler erklärt sie ihr Konzept - und kommentiert die geplante Aktion von Julius Deutschbauer zur Eröffnung am 7. Juni.


Julius Deutschbauer plant einen neuen Anschlag: Er will beim österreichischen Pavillon in den Giardini von Venedig drei Plakate affichieren, die er zusammen mit seinem Freund Gerhard Spring für die Biennale entwarf. Eines zeigt die beiden Selbstdarsteller vor dem Campanile, in Polnisch wie Deutsch wird zu lesen sein: "Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Kulturstaatssekretär Franz Morak eröffnen den österreichischen Pavillon im polnischen Pavillon. 7. Juni, 17 Uhr."

Es soll aber nicht nur bei der Ankündigung bleiben: Das Duo gedenkt, die "Rede zur Lage der Nation", die der Kanzler am 15. Mai gehalten hatte, noch einmal zu Gehör zu bringen - leicht abgewandelt und in verteilten Rollen. Polen hätte ihnen, sagen sie, Gastrecht gewehrt.

Mit dieser Aktion treiben Deutschbauer/Spring ihr provokantes Projekt "Morak u.v.a." auf die Spitze: In den letzten Monaten hatten die beiden zu sechs "Diskussionen" geladen, in denen Deutschbauer den Part des Staatssekretärs - und Spring jenen des wechselnden Gesprächspartners (Peter Weibel, Agnes Husslein, Ioan Holender etc.) übernahm.

Das Sonderprojekt für die Biennale wird von Elisabeth Schweeger, der von Morak bestellten Kommissärin Österreichs, die ab Herbst das Schauspiel Frankfurt leiten wird, toleriert - beziehungsweise unterstützt.

STANDARD: Sie haben sich politische Eröffnungsredner verbeten. Wird Staatssekretär Morak daher am 7. Juni überhaupt anwesend sein?

Schweeger: Ich habe keine Ahnung, es ist mir egal.

STANDARD: Wie fühlt man sich, wenn man für die ÖVP- FPÖ-Regierung arbeitet?

Schweeger: Ich arbeite nicht für die Regierung, ich arbeite für die Kunst. Ich lasse mir von keiner Regierung sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Diese Freiheit - das ist auch die Freiheit der Kunst - muss gewährleistet sein. Wäre sie es nicht mehr, müsste ich mich wehren. Meine Integrität besteht darin, dass ich weiterarbeite, unbeirrt. Und dass die Kunst die Möglichkeit hat, sich zu präsentieren, wie sie es für richtig hält - und nicht, wie andere es möchten.

STANDARD: Sie haben sich auch gegen die Ausrichtung eines Festes ausgesprochen: Das Staatssekretariat verzichtete, einen Palazzo anzumieten.

Schweeger: Die vorherige Koalitionsregierung hat die Biennale zu einem politischen Almauftrieb instrumentalisiert. Schon auf den Einladungskarten wurde zuerst der Bundeskanzler genannt, dann der Kunstminister, dann der Kommissär und dann erst die Künstler. Aber das hat nicht nur Österreich so gehandhabt, das machen alle Länder: Es kommt Jospin, es kommt sicher auch Berlusconi. Nur: Auf der Biennale geht es um Kunst - und nicht um das Repräsentieren einer Regierung. Ich jedenfalls will, dass die Kunst an erster Stelle steht.

STANDARD: Deutschbauer sagt, Sie hätten ihn beauftragt, drei Plakate zu gestalten.

Schweeger: Nein, er hat mich gefragt, ob er etwas machen kann. Und ich habe gesagt, ich werde seine Aktion nicht verhindern. Ich finde seine Arbeit gut: Sie ist ironisch, auch zynisch, weil sie alle aufs Korn nimmt. Und das finde ich sehr sympathisch. Dadurch braucht sich keiner beleidigt fühlen. Denn Deutschbauer weist darauf hin, dass es nicht um Namen und Personen geht, sondern um Strukturen und Systeme. Sein Plakat, auf dem ein Würstlstand "Widerstandl" heißt, zeigt die wienerische Situation: viel meckern, aber nicht wirklich handlungsfähig sein. Ich persönlich bin für "handeln", weil sich der Mensch über das Handeln bestimmt und damit seine Integrität formuliert. Der Diskurs und die Auseinandersetzung mit dem anderen ist dabei ein wesentlicher Bestandteil. Schweigen kann, das wissen wir aus der Geschichte, mitunter tödlich sein.

STANDARD: Eines der Venedig-Plakate zeigt Deutschbauer, Spring und eine schwarzhaarige Frau, die ein Ei in der Hand halten, an einem Kaffeehaustisch. Dazu der Kommentar: "Kommissärin Elisabeth Schweeger bestellt in Wien ein Kuckucksei für Venedig."

Schweeger: Klasse! Bei Deutschbauer weiß man nie, wo die Wahrheit liegt.

STANDARD: Glauben Sie nicht, dass man Ihnen diese Parallelaktion bei der Österreich-Eröffnung übel nehmen wird?

Schweeger: Was im öffentlichen Raum der Biennale stattfindet, kann ich nicht einschränken. Man muss über den Dingen stehen.

STANDARD: Ist Ihr Programm für die Biennale auch als politisches Statement zur Lage in Österreich zu verstehen?

Schweeger: Meine Arbeit ist immer politisch: Es ist mein Anliegen, die Kunst als Transmitter von Visionen oder als Fragesteller zu ermöglichen. Die zwei Künstlergruppen, die ich engagiert habe, thematisieren eine Schnittstelle, die für mich sehr virulent ist. Denn an dieser sitzt das Drama unserer Zeit: Es ist die Schnittstelle zwischen Ereignisgesellschaft einerseits und Reflexion darüber andererseits. Reflexion und kritische Auseinandersetzung wird immer mehr verdrängt gegenüber der Notwendigkeit, dem Event beizukommen: Kosten-Nutzen- Rechnung, Effektivität, Präsent und Einschaltquoten entscheiden über den Erfolg von Kunst - und nicht mehr die Qualität. Gelatin und Granular Synthesis hauen zwar nicht auf den Tisch, aber in ihrer subversiven Art formulieren sie Akzente dieser Gesellschaft. Berlusconi ist meiner Meinung nach viel gefährlicher als ein nörgelnder Haider, weil er Macht mit Medien-Monopolen und Wirtschaft verbindet. Diese Totalökonomisierung aller gesellschaftlicher Bereiche macht mir Angst: Das Widerstandspotenzial, das notwendig ist für die Fortschreibung von Kultur, hat darin keine Chance mehr. Dadurch sinkt das Niveau der Gesellschaft.

STANDARD: Wie geht Gelatin mit dem Problem um?

Schweeger: : Lassen Sie sich überraschen! Die Gruppe ist eigenwillig und hat eine wunderbare Antwort auf die politische Situation, auf den Pavillon, auf die Biennale, auf die Situation der Kunst gefunden.

STANDARD: Und die Gruppe Granular Synthesis?

Schweeger: Sie fordern eine Ruhezone ein, die aber laut ist - oder umgekehrt. Ein lautes, leises Nachdenken.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3. 6. 2001)


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