Elisabeth Schweeger präsentiert als Kommissärin Österreich auf der
Biennale Venedig die Gruppen Gelatin und Granular Synthesis. Im Gespräch
mit Thomas Trenkler erklärt sie ihr Konzept - und kommentiert die
geplante Aktion von Julius Deutschbauer zur Eröffnung am 7. Juni.
Julius Deutschbauer plant einen neuen Anschlag: Er will beim
österreichischen Pavillon in den Giardini von Venedig drei Plakate
affichieren, die er zusammen mit seinem Freund Gerhard Spring für die
Biennale entwarf. Eines zeigt die beiden Selbstdarsteller vor dem
Campanile, in Polnisch wie Deutsch wird zu lesen sein: "Bundeskanzler
Wolfgang Schüssel und Kulturstaatssekretär Franz Morak eröffnen den
österreichischen Pavillon im polnischen Pavillon. 7. Juni, 17 Uhr."
Es soll aber nicht nur bei der Ankündigung bleiben: Das Duo gedenkt,
die "Rede zur Lage der Nation", die der Kanzler am 15. Mai gehalten hatte,
noch einmal zu Gehör zu bringen - leicht abgewandelt und in verteilten
Rollen. Polen hätte ihnen, sagen sie, Gastrecht gewehrt.
Mit dieser Aktion treiben Deutschbauer/Spring ihr provokantes Projekt
"Morak u.v.a." auf die Spitze: In den letzten Monaten hatten die beiden zu
sechs "Diskussionen" geladen, in denen Deutschbauer den Part des
Staatssekretärs - und Spring jenen des wechselnden Gesprächspartners
(Peter Weibel, Agnes Husslein, Ioan Holender etc.) übernahm.
Das Sonderprojekt für die Biennale wird von Elisabeth Schweeger, der
von Morak bestellten Kommissärin Österreichs, die ab Herbst das Schauspiel
Frankfurt leiten wird, toleriert - beziehungsweise unterstützt.
STANDARD: Sie haben sich politische Eröffnungsredner verbeten. Wird
Staatssekretär Morak daher am 7. Juni überhaupt anwesend sein?
Schweeger: Ich habe keine Ahnung, es ist mir egal.
STANDARD: Wie fühlt man sich, wenn man für die ÖVP- FPÖ-Regierung
arbeitet?
Schweeger: Ich arbeite nicht für die Regierung, ich arbeite für
die Kunst. Ich lasse mir von keiner Regierung sagen, was ich zu tun und zu
lassen habe. Diese Freiheit - das ist auch die Freiheit der Kunst - muss
gewährleistet sein. Wäre sie es nicht mehr, müsste ich mich wehren. Meine
Integrität besteht darin, dass ich weiterarbeite, unbeirrt. Und dass die
Kunst die Möglichkeit hat, sich zu präsentieren, wie sie es für richtig
hält - und nicht, wie andere es möchten.
STANDARD: Sie haben sich auch gegen die Ausrichtung eines Festes
ausgesprochen: Das Staatssekretariat verzichtete, einen Palazzo
anzumieten.
Schweeger: Die vorherige Koalitionsregierung hat die Biennale zu
einem politischen Almauftrieb instrumentalisiert. Schon auf den
Einladungskarten wurde zuerst der Bundeskanzler genannt, dann der
Kunstminister, dann der Kommissär und dann erst die Künstler. Aber das hat
nicht nur Österreich so gehandhabt, das machen alle Länder: Es kommt
Jospin, es kommt sicher auch Berlusconi. Nur: Auf der Biennale geht es um
Kunst - und nicht um das Repräsentieren einer Regierung. Ich jedenfalls
will, dass die Kunst an erster Stelle steht.
STANDARD: Deutschbauer sagt, Sie hätten ihn beauftragt, drei Plakate zu
gestalten.
Schweeger: Nein, er hat mich gefragt, ob er etwas machen kann.
Und ich habe gesagt, ich werde seine Aktion nicht verhindern. Ich finde
seine Arbeit gut: Sie ist ironisch, auch zynisch, weil sie alle aufs Korn
nimmt. Und das finde ich sehr sympathisch. Dadurch braucht sich keiner
beleidigt fühlen. Denn Deutschbauer weist darauf hin, dass es nicht um
Namen und Personen geht, sondern um Strukturen und Systeme. Sein Plakat,
auf dem ein Würstlstand "Widerstandl" heißt, zeigt die wienerische
Situation: viel meckern, aber nicht wirklich handlungsfähig sein. Ich
persönlich bin für "handeln", weil sich der Mensch über das Handeln
bestimmt und damit seine Integrität formuliert. Der Diskurs und die
Auseinandersetzung mit dem anderen ist dabei ein wesentlicher Bestandteil.
Schweigen kann, das wissen wir aus der Geschichte, mitunter tödlich sein.
STANDARD: Eines der Venedig-Plakate zeigt Deutschbauer, Spring und eine
schwarzhaarige Frau, die ein Ei in der Hand halten, an einem
Kaffeehaustisch. Dazu der Kommentar: "Kommissärin Elisabeth Schweeger
bestellt in Wien ein Kuckucksei für Venedig."
Schweeger: Klasse! Bei Deutschbauer weiß man nie, wo die
Wahrheit liegt.
STANDARD: Glauben Sie nicht, dass man Ihnen diese Parallelaktion bei
der Österreich-Eröffnung übel nehmen wird?
Schweeger: Was im öffentlichen Raum der Biennale stattfindet,
kann ich nicht einschränken. Man muss über den Dingen stehen.
STANDARD: Ist Ihr Programm für die Biennale auch als politisches
Statement zur Lage in Österreich zu verstehen?
Schweeger: Meine Arbeit ist immer politisch: Es ist mein
Anliegen, die Kunst als Transmitter von Visionen oder als Fragesteller zu
ermöglichen. Die zwei Künstlergruppen, die ich engagiert habe,
thematisieren eine Schnittstelle, die für mich sehr virulent ist. Denn an
dieser sitzt das Drama unserer Zeit: Es ist die Schnittstelle zwischen
Ereignisgesellschaft einerseits und Reflexion darüber andererseits.
Reflexion und kritische Auseinandersetzung wird immer mehr verdrängt
gegenüber der Notwendigkeit, dem Event beizukommen: Kosten-Nutzen-
Rechnung, Effektivität, Präsent und Einschaltquoten entscheiden über den
Erfolg von Kunst - und nicht mehr die Qualität. Gelatin und Granular
Synthesis hauen zwar nicht auf den Tisch, aber in ihrer subversiven Art
formulieren sie Akzente dieser Gesellschaft. Berlusconi ist meiner Meinung
nach viel gefährlicher als ein nörgelnder Haider, weil er Macht mit
Medien-Monopolen und Wirtschaft verbindet. Diese Totalökonomisierung aller
gesellschaftlicher Bereiche macht mir Angst: Das Widerstandspotenzial, das
notwendig ist für die Fortschreibung von Kultur, hat darin keine Chance
mehr. Dadurch sinkt das Niveau der Gesellschaft.
STANDARD: Wie geht Gelatin mit dem Problem um?
Schweeger: : Lassen Sie sich überraschen! Die Gruppe ist
eigenwillig und hat eine wunderbare Antwort auf die politische Situation,
auf den Pavillon, auf die Biennale, auf die Situation der Kunst gefunden.
STANDARD: Und die Gruppe Granular Synthesis?
Schweeger: Sie fordern eine Ruhezone ein, die aber laut ist -
oder umgekehrt. Ein lautes, leises Nachdenken. (DER STANDARD,
Print-Ausgabe, 2./3. 6. 2001)
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