Unsichtbar in Istanbul
CLEMENS PANAGL WIEN (SN). Man sieht es kaum, aber man kann es hören: Hoch oben hat der türkische Künstler Cevdet Erek ein Taubennetz installiert. Es überspannt den Innenhof des Palais in der Wiener Himmelpfortgasse, in dem Francesca von Habsburgs Kunstraum „Thyssen Bornemisza Art Contemporary“ untergebracht ist. Aus Lautsprechern, die an dem Netz hängen, rieselt ein trockener Beat.
„Sky Ornamentation“ hat Erek seine Arbeit genannt. Die Unsichtbarkeit gehört zum Prinzip. Die Installation ist eine von 15 Kunstpositionen aus Istanbul, die derzeit unter dem Titel „Tactics of Invisibility“ gezeigt werden.
Die Erkundung des Hauses vom Hof bis zum Dachboden lohnt sich: Dort verbirgt sich etwa eine Videoinstallation von Kutlug Ataman. In „Twelve“ lässt er sechs an Reinkarnation glaubende Personen aus dem Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien von Erinnerungen an frühere Leben erzählen, die mit einem gewaltsamen Tod endeten.
Außergewöhnlich lebendig geht es unterdessen im Video „Harem“ von Inci Eviner zu. Frauen, die singen, dirigieren oder vordergründig absurde Bewegungen ausführen, sind darin zu sehen. Die Künstlerin hat einen alten Kupferstich mit einer Szene aus einem Istanbuler Harem neu in Szene gesetzt. In Eviners Video erobern sich die Protagonistinnen des Bildes ihren Handlungsspielraum zurück.
Was viele der Positionen gemeinsam haben: Sie erschließen sich erst durch die nötige Zusatzinformation. Der armenische Kunstpionier Sarkis hat für seine Installation Messer in eine Eisenbahnschwelle gerammt. Die Buchstaben auf den Klingen ergeben das türkische Wort für „Kriegsschatz“. Rundherum liegen Knäuel aus Tonbändern – als Symbol für gespeicherte Erinnerungen, „für das Nicht-vergessen- Können“, sagt Kuratorin Daniela Zyman. Sarkis bezieht sich damit auf den Holocaust an Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Unsichtbar bleibt die Ausstellung vorerst auch in Istanbul: In der derzeit regierenden Kulturhauptstadt Europas wird sie erst 2011 zu sehen sein – nach den Stationen Wien und Berlin. Dafür sorgt Esra Ersen im Ottakringer Depot für Transparenz: Sie hat für ihre Arbeit „I am Turkish, I am Honest, I am Diligent“ westliche Schulkinder türkische Schuluniformen tragen lassen und hat deren Gedanken gut sichtbar auf die Kleidungsstücke geschrieben.