26.11.2003 19:26
Unbewusstes Kunstschaffen
"Humane
Skulpturen" - Richard Kriesches Dokumentation bäuerlicher Arbeitsfelder im
Grazer Volkskundemuseum - Foto
Das Grazer Volkskundemuseum zeigt bis 29. Februar eine zur
permanenten Schausammlung passend adaptierte Auswahl aus Richard Kriesches
Dokumentation der bäuerlichen Arbeitsfelder in der Oststeiermark: "Humane
Skulpturen".
Graz - Für Karl Marx, der abseits politischer Vereinnahmung wieder als
einer der sensibelsten Beobachter von Prozessen der Modernisierung gelten darf,
lag eines schon vor mehr als 150 Jahren auf der Hand: "Die Bourgeoisie reißt
durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich
erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischen Völker, in die
Zivilisation."
Die Zivilisation aber ist stets urban: "Die Bourgeoisie
hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen." Die Marxsche Vorahnung
globalisierungsrelevanter Problemgemenge bestätigt das Gefühl des
Intellektuellen unserer Tage, der eigenen Arbeit entfremdet zu sein, den
direkten, unverkrampften Zusammenhang von Konzeption und Realisierung nicht mehr
zu verkörpern. So muss es auch Richard Kriesche auf seinen Streifzügen durchs
ländliche Ambiente ergangen sein, als angesichts der edelsten, dabei nirgends
gezwungenen, eben archetypischen Ästhetik sein Wunsch reifte, das bäuerliche
Leben in symbolträchtigen Bildern zu verdichten.
Das geschah in den
Siebzigern, also zur Zeit, als die Kunst selbst ihr Gebiet neu abstecken wollte,
Erkenntnisse zu gewinnen suchte aus dem Vergleich von Tag- und Kunstwerk. So
entwickelte sich Kriesches Landpartie rückwärts gewandt zur Utopie einer
artistisch-genialen Handhabung der ausgestreuten Phänomene:
"Die letzten
Universalgenies sind die Bauern der Oststeiermark." Vier Familien machte er nach
langer Suche ausfindig, denen er ein Jahr lang auf die Finger schauen durfte,
die ihm die Arbeiten im Jahreskreis erklärten: "So fäll' ma den Baum", oder: "So
schlicht' ma das Holz."
Das alles schien dem Künstler stets äußerst
merkwürdig, weil immer zweckgebunden und verrichtet, ohne vorher lange
nachzudenken. Schließlich ist am Land weder Platz für hochgezwirbelte
Fantastereien über ein allseits interesseloses Wohlgefallen noch Zeit für
Theorie im Allgemeinen. Am Land muss eben alles, was getan wird, sinnvoll und
pünktlich sein. Und Kriesche bedankte sich für die zur Erweiterung des kreativen
Potenzials erdnah empfangenen Impulse mit einer künstlerisch ambitionierten
Mediatisierung der bäuerlichen Lebenswelt.
Sie setzt den Bauern und das
Werkzeug, das ihm "liegen", seinen Proportionen angepasst sein muss, in jenen
Kreis, der auch bei Leonardo den Prototyp des Menschen nach gerechtem Maß
umschreibt.
Dass die bäuerliche Behausung ähnlichen Proportionsregeln
wie die erlauchteste Architektur der Renaissance zu folgen weiß, beweist die
dreifarbige Messlatte. Die sonst leicht übersehene Frauenarbeit wird mittels
Handabdruck im Brotlaib wieder sichtbar. Holzschnittartig wird die Struktur
eines alten Mauerwerks auf eine Leinwand übertragen und bildet, vor die
betonierte Neubauwand montiert, den Hintergrund zur Aufzeichnung einer
Verlustgeschichte.
Am sinnbildlichsten fallen aber die Objekte aus, die
Kriesche seinen Lehrmeistern zur Existenzverdeutlichung ausfolgte: Die
Knopfharmonika, deren Tasten alle Stückeln der Landarbeit bildlich vorweisen,
der Sonntagsanzug, der, umseitig getragen, zur Arbeitsmontur wird, oder die
Trommel, deren Form den Grundriss der Steiermark beschreibt.
(DER STANDARD,
Printausgabe, 27.11.2003)