VON WALTER FINK
Mit der Heimat ist das so eine Sache. Lange konnte man das Wort
gar nicht mehr in den Mund nehmen, wenn man nicht falsch zugeordnet
werden wollte. Heimat, das war etwas, das durch die
Blut-und-Boden-Ideologie verunglimpft wurde, Heimat war etwas, mit
dem man sich nicht mehr beschäftigen konnte. Das hat sich
einigermaßen geändert. Schon seit längerer Zeit ist Heimat wieder
Thema in der Literatur - allerdings in anderer, auch in kritischer
Form. Und da man sich wieder mit Heimat beschäftigen kann, darf man
auch wieder von Heimweh reden, ohne als heilloser Romantiker zu
gelten. Heimat, so meinte ein früher Philosoph, sei dort, wo die
Wasser zusammenfließen, wo die Häuser der Kindheit stehen. Und zu
Heimweh meinte ein Dichter, daß der verborgene Sinn allen Reisens
sei, Heimweh zu haben.
Der Satz vom Zusammenfließen der Wasser ist mir eingefallen, als
ich vor dem neuen Wasserhaus in St. Arbogast stand. Es steht auf dem
Gemeindegebiet von Götzis, in einer Senke unter dem Bildungshaus.
Und neben dem Haus fließt das Wasser, ein kleiner Bach, der sich als
Mäander durch die Wiese schlängelt, ein Bach, der früher begradigt,
nun aber rückgebaut wurde. Bisher war das einfach ein landschaftlich
schöner Platz, nun hat er durch Kunst einen neuen Akzent bekommen.
Das Wasserhaus ist schon ein Haus, immerhin hat es - wenn auch durch
viele Löcher geöffnete - Wände, es hat - ebenfalls durchlöchert -
ein Dach. Am Fußboden ist ein Wasserbecken. Das Wasserhaus ist aber
auch eine Skulptur. Das Wasserhaus ist ein außerordentliches
Kunstwerk. Fridolin Welte, der den Wettbewerb vor Jahren gewonnen
hatte, hat es entworfen. Er hat ein Signal gesetzt, ein Signal in
der Landschaft, zusätzlich eines in der Kunst dieses Landes. Und das
Bildungshaus St. Arbogast hat als Auftraggeber einen Punkt
geschaffen, der ausstrahlen wird. Nicht nur auf die direkte
Umgebung, auch weiter. Das Wasserhaus wird ruhiger Treffpunkt werden
für Leute, die Ruhe suchen, die dem Urelement Wasser nachsinnen, die
meditieren oder einfach ein gutes Buch lesen wollen. Das Wasserhaus
ist trotz seiner bescheidenen Ausmaße so bestimmt in der Landschaft,
daß man glaubt, es sei Teil davon. So gesehen könnte dieser Platz -
im vorher genannten Sinn - durch Kunst Heimat werden.
Heimweh thematisiert Wolfgang Flatz im neuen Gebäude des
Kunstraums Dornbirn. Ein Steinhaufen, ein riesiges Gipfelkreuz, dazu
der akustisch verstärkte Herzschlag des Künstlers, der in rotem,
pulsierendem Licht auch optisch umgesetzt ist. Eine - gerade in
dieser außergewöhnlichen früheren Industriehalle - wunderbare
Installation. Und ein völlig neuer Flatz, den wir da kennenlernen.
Geradezu zärtlich geht der Künstler mit dem Begriff um, feinfühlig,
ohne billige Effekthascherei, die bei solchem Thema immer eine
Gefahr darstellt. Flatz läßt zwar über seinen Herzschlag seine
Person im Zentrum, ansonsten nimmt er sich aber völlig zurück. Eine
bei ihm ungewohnte Haltung, denn bei seinen meisten Arbeiten wird
sein Körper zur Kunst. Bei "Heimweh" ist das anders, er ordnet sich
dem Begriff unter. Es ist spannend, daß an einem Wochenende, ohne
Absprache, zwei solche Kunstwerke präsentiert werden. Es scheint
keinen Zusammenhang zu geben, es gibt in der künstlerischen Arbeit
nichts, wo man einen solchen herstellen könnte. Und dennoch
verbinden sich das Wasserhaus von St. Arbogast und "Heimweh" in
meinen Gedanken, fügen sich die Dinge zu einem komplexen Gebilde.
Beide fordern Ruhe, fordern Konzentration, beide strahlen auch Ruhe
aus. Beide werde ich bewahren, und sollte ich einmal in der Fremde
sein, werde ich auch an das Wasserhaus und an "Heimweh" denken.
Vielleicht werde ich das dann auch haben.
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Die Meinung des Gastkommentators muss nicht mit jener der
Redaktion übereinstimmen. Auf Wunsch des Autors erscheint sie in der
alten Rechtschreibung.