VN Mi, 9.7.2003

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MEINUNG

Heimat und Heimweh

VON WALTER FINK

Mit der Heimat ist das so eine Sache. Lange konnte man das Wort gar nicht mehr in den Mund nehmen, wenn man nicht falsch zugeordnet werden wollte. Heimat, das war etwas, das durch die Blut-und-Boden-Ideologie verunglimpft wurde, Heimat war etwas, mit dem man sich nicht mehr beschäftigen konnte. Das hat sich einigermaßen geändert. Schon seit längerer Zeit ist Heimat wieder Thema in der Literatur - allerdings in anderer, auch in kritischer Form. Und da man sich wieder mit Heimat beschäftigen kann, darf man auch wieder von Heimweh reden, ohne als heilloser Romantiker zu gelten. Heimat, so meinte ein früher Philosoph, sei dort, wo die Wasser zusammenfließen, wo die Häuser der Kindheit stehen. Und zu Heimweh meinte ein Dichter, daß der verborgene Sinn allen Reisens sei, Heimweh zu haben.

Der Satz vom Zusammenfließen der Wasser ist mir eingefallen, als ich vor dem neuen Wasserhaus in St. Arbogast stand. Es steht auf dem Gemeindegebiet von Götzis, in einer Senke unter dem Bildungshaus. Und neben dem Haus fließt das Wasser, ein kleiner Bach, der sich als Mäander durch die Wiese schlängelt, ein Bach, der früher begradigt, nun aber rückgebaut wurde. Bisher war das einfach ein landschaftlich schöner Platz, nun hat er durch Kunst einen neuen Akzent bekommen. Das Wasserhaus ist schon ein Haus, immerhin hat es - wenn auch durch viele Löcher geöffnete - Wände, es hat - ebenfalls durchlöchert - ein Dach. Am Fußboden ist ein Wasserbecken. Das Wasserhaus ist aber auch eine Skulptur. Das Wasserhaus ist ein außerordentliches Kunstwerk. Fridolin Welte, der den Wettbewerb vor Jahren gewonnen hatte, hat es entworfen. Er hat ein Signal gesetzt, ein Signal in der Landschaft, zusätzlich eines in der Kunst dieses Landes. Und das Bildungshaus St. Arbogast hat als Auftraggeber einen Punkt geschaffen, der ausstrahlen wird. Nicht nur auf die direkte Umgebung, auch weiter. Das Wasserhaus wird ruhiger Treffpunkt werden für Leute, die Ruhe suchen, die dem Urelement Wasser nachsinnen, die meditieren oder einfach ein gutes Buch lesen wollen. Das Wasserhaus ist trotz seiner bescheidenen Ausmaße so bestimmt in der Landschaft, daß man glaubt, es sei Teil davon. So gesehen könnte dieser Platz - im vorher genannten Sinn - durch Kunst Heimat werden.

Heimweh thematisiert Wolfgang Flatz im neuen Gebäude des Kunstraums Dornbirn. Ein Steinhaufen, ein riesiges Gipfelkreuz, dazu der akustisch verstärkte Herzschlag des Künstlers, der in rotem, pulsierendem Licht auch optisch umgesetzt ist. Eine - gerade in dieser außergewöhnlichen früheren Industriehalle - wunderbare Installation. Und ein völlig neuer Flatz, den wir da kennenlernen. Geradezu zärtlich geht der Künstler mit dem Begriff um, feinfühlig, ohne billige Effekthascherei, die bei solchem Thema immer eine Gefahr darstellt. Flatz läßt zwar über seinen Herzschlag seine Person im Zentrum, ansonsten nimmt er sich aber völlig zurück. Eine bei ihm ungewohnte Haltung, denn bei seinen meisten Arbeiten wird sein Körper zur Kunst. Bei "Heimweh" ist das anders, er ordnet sich dem Begriff unter. Es ist spannend, daß an einem Wochenende, ohne Absprache, zwei solche Kunstwerke präsentiert werden. Es scheint keinen Zusammenhang zu geben, es gibt in der künstlerischen Arbeit nichts, wo man einen solchen herstellen könnte. Und dennoch verbinden sich das Wasserhaus von St. Arbogast und "Heimweh" in meinen Gedanken, fügen sich die Dinge zu einem komplexen Gebilde. Beide fordern Ruhe, fordern Konzentration, beide strahlen auch Ruhe aus. Beide werde ich bewahren, und sollte ich einmal in der Fremde sein, werde ich auch an das Wasserhaus und an "Heimweh" denken. Vielleicht werde ich das dann auch haben.

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Die Meinung des Gastkommentators muss nicht mit jener der Redaktion übereinstimmen. Auf Wunsch des Autors erscheint sie in der alten Rechtschreibung.




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