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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
26. November 2006
10:00 MEZ
Ausstellung im Lentos Kunstmuseum Linz:
"Museen im 21. Jahrhundert: Ideen, Projekte, Bauten"
Zu sehen bis 18. Februar 2007.
Täglich außer Dienstag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 22 Uhr.
Ernst-Koref-Promenade 1, 4020 Linz.
Zur Ausstellung ist ein Katalog im Prestel-Verlag erschienen. Die Ausstellungsgestaltung stammt von Caramel architekten. 
Foto: AP /Centre Pompidou-Metz
Die Zweigstelle des Centre Pompidou in Metz ist einer der wenigen autonomen Lichtblicke unter den neuen Museen. Im Gegensatz zu Shigeru Ban und Jean de Gastines nehmen es ...

Renderings: CA2M, Architekten
...Hadid, ...

Renderings: CA2M, Architekten
...Libeskind und ...

Renderings: CA2M, Architekten
... Coop Himmelb(l)au mit der Individualität nicht allzu ernst. Seit Bilbao gilt: Erlaubt ist, was gefällt. Déjà-vus spielen dabei keine Rolle.

Wer Museum sagt, muss auch Bilbao sagen
Das Guggenheim-Museum in Bilbao hat die Latte hoch gelegt. Können das die neuen Museen überhaupt noch überbieten?

Als Normalsterblicher ahnt man gar nicht, wofür man alles Architekten braucht. Wer denkt im Alltag ernsthaft an Wasserkraftwerke, Kläranlagen und Großbäckereien? Hans Hollein mag also Recht behalten, wenn er meint, "alles ist Architektur." Doch auf der großen Karriereleiter kratzt das niemanden. Ganze Trauben von schwarzen Architekten hängen daran und raufen um die nächst höhere Sprosse. Im Visier haben sie nur eines. Denn wer ganz nach oben möchte, der braucht nur die erstrebenswerteste aller Bauaufgaben zu meistern - ein Museum.

Je spektakulärer das Gebäude ausfällt, desto größer die Chance, von der Presse zum Stararchitekten gekürt zu werden. Und ehe man sich versieht, ist man ein Gehry, eine Hadid, ein Libeskind. Fällt Ihnen ein Museum ein? Vor zehn Jahren hätte man noch Louvre, Prado und Eremitage geantwortet, heute spricht man nur noch von Bilbao. Eine ganze Stadt, ein ganzes müdes Baskenland ist durch die Hilfe von Bauherr und Architekt von einem Tag auf den anderen zu Weltruhm gelangt.

"Die Städte haben die Museen als Marketingfaktoren entdeckt", schreibt der Autor Thierry Greub in einem Essay über die Ausstellungsbauten des 21. Jahrhunderts, "ein spektakulärer Museumsbau besitzt überregionale Ausstrahlung, sichert der Stadt im besten Fall sowohl ein markantes Wahrzeichen als auch Zentrumsfunktion." Waren es bisher nur die Gemälde und Skulpturen, die eine Reise in das eine oder andere Museum nahe legten, bilden jetzt die Museumsbauten die Hauptattraktion.

Der deutsche Maler und Bildhauer Markus Lüpertz hat schon 1984 hellsichtig formuliert: "Die Architektur sollte die Größe besitzen, sich selbst so zu präsentieren, dass die Kunst in ihr möglich wird, dass die Kunst nicht durch den Eigenanspruch der Architektur, Kunst zu sein, vertrieben wird." Angesichts einer immer lauter werdenden Architektur ist die Frage daher durchaus berechtigt: Wo bleibt da noch Platz für die Kunst?

"Gebt mir ein Museum, und ich werde es füllen", soll Picasso gesagt haben. Etwas bereits Gefülltes noch mehr anzufüllen, wie dies zunehmend der Fall ist - das ist keine leichte Aufgabe. Doch das Klagelied des allzu üppigen Museumsbaus ist kein neues. Seit jeher trachtete man danach, für die Unterbringung der Kunst ein eindrucksvolles Gebäude im passenden Stil zu errichten. Nur so kann man den Louvre, den Prado und die Eremitage in St. Petersburg verstehen, denn schlicht und neutral waren all diese Räume beim besten Willen nicht.

Erst die Kunst des 20. Jahrhunderts forderte eine minimalistische Hülle ein - das war die Geburtsstunde des so genannten White Cube. Die Hülle nahm sich als nacktes Nichts zurück, im Rampenlicht stand die Kunst. Gerade einmal ein paar Jahrzehnte hat der weiße Minimalismus heute auf dem Buckel, schon wird er als veraltet erachtet, abgelegt und gegen den visuellen Barock einer Bilbao-Architektur eingetauscht. Seit dem großen baskischen Wurf Frank O. Gehrys gilt - zumindest bei Kunstmuseen - einmal mehr das Prinzip, dass ihr Baustil eine Verbindung zur ausgestellten Sammlung aufweisen soll.

Kaum hat sich die Menschheit vom Guggenheim-Museum in Bilbao, vom Jüdischen Museum in Berlin oder vom Grazer Kunsthaus-Blob erholt, wird sie ein weiteres Mal strapaziert. Denn der Museumsboom hat seinen Höhepunkt noch lange nicht erreicht, die wirklich großen Würfe stehen erst an. Die Hauptprotagonisten der neuen Kunstarchitektur sind an erster Stelle Frank O. Gehry, Zaha Hadid und Daniel Libeskind, gefolgt von Santiago Calatrava, Bernard Tschumi, Coop Himmelb(l)au, Shigeru Ban und - gerade in den Vereinigten Staaten ein viel gefragter Mann - Renzo Piano.

Einige Museumsbauten wirken wie aus einer fernen Zukunft, doch sie werden durchwegs Realität sein. So manches Projekt befindet sich sogar schon in der Bauphase. Zaha Hadids MAXXI in Rom (Museo nazionale delle arti del XXI secolo) ist eine spektakuläre urbane Maschine, die ein wenig an die Gleisverläufe eines Bahnhofs erinnert. Zaha Hadid kontert: "Ich habe dabei nicht unbedingt an Eisenbahnschienen gedacht. Vielmehr soll es an die Linien der Landschaft oder an die gewundene Linie des nahe gelegenen Tibers erinnern." Die Ausstellungsräume sind als betonierte Tröge ausgebildet, die Belichtung erfolgt ausschließlich über Glasdecken. "Es gibt eine starke Beziehung zwischen dem Gebäude und dem Himmel. Mit dem mediterranen Licht hier in Rom umzugehen, ist eine Herausforderung und ein Spaß für sich", erklärt Hadid.

Die Eröffnung ist für 2008 geplant. Ursprünglich waren die Baukosten mit 70 Millionen Euro veranschlagt, Experten sprechen mittlerweile von 100 Millionen. Derzeit droht ein Baustopp wegen Geldmangels. Um den schlimmsten Fall zu verhindern, erklärte vorgestern Donnerstag die italienische Regierung, dass sie das Projekt mit 24 Millionen Euro unterstützen werde.

Weniger dramatisch geht es im französischen Metz zu, wo gerade eine Zweigstelle des Pariser Centre Pompidou entsteht. Baukosten 36 Millionen Euro, Eröffnung 2008. Der Entwurf von Shigeru Ban und Jean de Gastines ist einem chinesischen Bambushut nachempfunden. Der sechseckige Flechtschirm aus Schichtleimholz und einer lichtdurchlässigen Kunststoff-Membran wird dem Haufen aus unterschiedlichen Ausstellungsräumen ganz einfach aufgesetzt. Untertags erinnert die Gebäudehülle an ein Zewa-Softis-Taschentuch, nachts scheint die ungewöhnliche Holzkonstruktion durch.

Auch in Lyon ist bereits eine Baustelle voll in Betrieb. Das Musée des Confluences von Coop Himmelb(l)au ist ein riesiger Apparat, der auf eine gottverlassene Landzunge am Zusammenfluss zwischen Rhône und Saône gestellt wird. Der Monsterbau aus Stahl, Glas und Stahlbeton ist über 150 Meter lang und an seiner höchsten Stelle 40 Meter hoch. Laut Architekten dürfe man sich das neue Wissenschafts- und Ethik-Museum jedoch nicht als abgeschlossenen Bau vorstellen, sondern ganz im Gegenteil als ein Ensemble "voller Zwischenräume, Undeutlichkeiten und Hybridisierungstendenzen". Klar und deutlich indes: Baukosten 100 Millionen Euro, Fertigstellung 2008.

"Die meisten Dummheiten in der Welt muss sich wahrscheinlich ein Gemälde in einem Museum anhören", schrieb der französische Schriftsteller Edmond de Goncourt Ende des 19. Jahrhunderts. Trifft das immer noch zu? Längst scheint es, als wären die Museen selbst an deren Stelle getreten. Die Frage, die sich angesichts der musealen Bauwut aufdrängt, lautet unweigerlich: Wie viel Museum verträgt die Welt? Längst könnte man all die Bilder abhängen und die unnützen Skulpturen verstauen. Denn die Menschen wären bereit, auch für die Besichtigung der alleinigen Architekturhüllen Eintrittsgeld zu zahlen. Fragt sich nur, ob das bloße Spektakel für eine Langzeitwirkung ausreichend ist.

Kürzlich eröffnete das Denver Art Museum von Daniel Libeskind (Baukosten 70 Millionen Euro). Hier gibt es ein Déjà-vu. Die geschlitzte Metallfassade weckt Erinnerungen an das Jüdische Museum in Berlin - mit dem einzigen Unterschied, dass das Denver Art Museum noch ein bisschen zerknüllter wirkt als sein europäischer Vorgänger. Und - Libeskind ist nicht der Einzige, der sich mittlerweile selbst zitiert. Die Beispiele sind zahlreich.

Die Zwischenbilanz über die post-bilbaotische Generation von Museumsbauten fällt am Ende ernüchternd aus. Wahrzeichen, Attraktionen und Blickfänge sind sie allesamt, doch es ist nicht zu übersehen, dass die formalen und funktionalen Spielmöglichkeiten weit gehend ausgereizt sind. So atemberaubend die einzelnen Gebäude auch sein mögen - seit Bilbao ist die Luft draußen. (Wojciech Czaja/ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.11.2006)


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