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Recycling - Arme Kunst

03.09.2009 | 17:26 |  (Die Presse - Schaufenster)

Ohne die Wirklichkeit ist die Kunst nicht denkbar. Die Antike brachte die Vorstellung auf, das Verhältnis zwischen den beiden wäre ein Wettstreit, wobei die Kernfrage lautete: Steht die Kunst der Wirklichkeit nach, oder übertrifft sie sie? Die Wirklichkeit war für die Kunst von diesem Standpunkt aus Inhalt, Vorlage, Messlatte. Dass Material aus der Wirklichkeit selbst unverändert in die Kunst Eingang fand, ist ein Phänomen der Moderne. Marcel Duchamp und seine Zeitgenossen waren die Ersten, die in Collagen, Skulpturen und Bildern von der Fahrkarte bis zum Urinoir Fundstücke aus dem Alltag verarbeiteten. In den 1960ern emanzipierte sich die Wirklichkeit vollends. Während in Amerika die Minimalisten vor allem industrielle Werkstoffe verarbeiteten, entdeckten die Europäer die Schönheit einfacher – „armer“ – Materia­lien.

Der Brite Richard Long etwa ordnete Treibholz zu raumgreifenden Skulpturen an. Und in Italien bezog mit der „Arte povera“ eine ganze Bewegung ihren Namen davon: Mario Merz etwa baute serienweise Iglus aus Reisig, Eis, Glas- und Spiegelscherben (Bild). Jannis Kounellis arbeitete mit Bettgestellen, Kohlestücken und Bunsenbrennern und Pino Pascali mit überdimensionierten Waschbürsten aus dem ­Kfz-Bedarf. Heute ist die Arbeit mit gefundenen Materialien für die Künstler – in Österreich etwa Heimo Zobernig, Erwin Wurm, Hans Schabus, Roland Kollnitz, Michael Kienzer – eine Selbstverständlichkeit. Zur Diskussion steht vielmehr das Verhältnis von Zeichen, Codes, Formen und Wahrnehmung.


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