Ohne
die Wirklichkeit ist die Kunst nicht denkbar. Die Antike brachte die
Vorstellung auf, das Verhältnis zwischen den beiden wäre ein
Wettstreit, wobei die Kernfrage lautete: Steht die Kunst der
Wirklichkeit nach, oder übertrifft sie sie? Die Wirklichkeit war für
die Kunst von diesem Standpunkt aus Inhalt, Vorlage, Messlatte. Dass
Material aus der Wirklichkeit selbst unverändert in die Kunst Eingang
fand, ist ein Phänomen der Moderne. Marcel Duchamp und seine
Zeitgenossen waren die Ersten, die in Collagen, Skulpturen und Bildern
von der Fahrkarte bis zum Urinoir Fundstücke aus dem Alltag
verarbeiteten. In den 1960ern emanzipierte sich die Wirklichkeit
vollends. Während in Amerika die Minimalisten vor allem industrielle
Werkstoffe verarbeiteten, entdeckten die Europäer die Schönheit
einfacher – „armer“ – Materialien.
Der Brite Richard Long
etwa ordnete Treibholz zu raumgreifenden Skulpturen an. Und in Italien
bezog mit der „Arte povera“ eine ganze Bewegung ihren Namen davon:
Mario Merz etwa baute serienweise Iglus aus Reisig, Eis, Glas- und
Spiegelscherben (Bild). Jannis Kounellis arbeitete mit Bettgestellen,
Kohlestücken und Bunsenbrennern und Pino Pascali mit
überdimensionierten Waschbürsten aus dem Kfz-Bedarf. Heute ist die
Arbeit mit gefundenen Materialien für die Künstler – in Österreich etwa
Heimo Zobernig, Erwin Wurm, Hans Schabus, Roland Kollnitz, Michael
Kienzer – eine Selbstverständlichkeit. Zur Diskussion steht vielmehr
das Verhältnis von Zeichen, Codes, Formen und Wahrnehmung.