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Kreolität für Europa!


Das Emaille-Schild in einem Amtsdeutsch, wie es hinter den Mauernischen der DDR überdauert hatte, ruht jetzt in einer braunsilbrig verwitterten Barke, umstellt von einem Haufen afrikanischer Plastik, Import aus Benin. Der Autor der raumfüllenden Assemblage ist Georges Adéagbo, ehemaliger Student des Wirtschaftsrechts in Frankreich, heute in seiner Heimatstadt Cotonou tätig, von wo er Ausstellungen zwischen New York und Johannesburg beschickt - schon vor der Documenta 11 ein vielbeschäftigter Mann im globalen Kunstbetrieb.

Die Kasseler Schau ist ein Lehrstück ausgleichender Gerechtigkeit. Das Missionswerk des Westens hat das Gedächtnis der Kolonisierten nicht gelöscht, sondern bereichert. Afrikanische Künstler kennen nicht nur ihre verschütteten Herkünfte; auch mit Kultur und Sprache der Kolonisatoren sind sie vertrauter als diese, durchschaut sind die Rollen, die ihnen zugedacht sind. Künstler aus Afrika, Indien oder Südamerika haben heute die besseren Antworten auf die Probleme der Globalisierung.

Für sie ist die kulturelle und ökologische Verödung im ungebremsten wirtschaftlichen Liberalismus nichts Neues; nur wir erkennen sie erst jetzt, wo sie den Globus umrundet hat und auch bei uns ankommt. Während der transatlantische Nordwesten sich stets nur für sich selbst interessierte, seine Privilegien mit ignoranter Schläfrigkeit auf immer garantiert wähnte, muß er jetzt feststellen, daß er während seines Dornröschenschlafs sehr genau beobachtet worden ist. Der gegenwärtige Rechtspopulismus ist eine Reaktion auf die beschämende Einsicht, von Kanaken und Negern als unwissend und kulturlos ertappt worden zu sein.

Der Schlagabtausch der "Ismen" zwischen Paris, Berlin und New York leitete einst die Suche nach der künstlerischen Neuheit. Der Diskurs kam ans Ende der Fahnenstange mit dem "Postmodernism": jener Retrospektive der Kunststile, die von Euroamerika ausgingen, die Welt zu erobern. Zurück kommen jetzt die Adaptionen in allen Weltgegenden, versetzt mit Spolien aus Ethnofolklore, christlicher Missionierung und Amerikanismus. In der karibischen Literatur zirkuliert der Begriff der "Créolité", der auch Gegenstand einer Plattform der Documenta war. Creólité bekennt sich zu einer vielfach gebrochenen Identität, in der die Verbrechen an den indigenen Inselvölkern, die Besiedlung mit weißen Herren und schwarzen Sklaven aufbewahrt ist zu einem synkretistischen Gewebe. "Hybrid" hießen solche Gebilde bei den Postmodernen, da auch sie das Gemischte und Vielfältige nur mit einem abschätzigen Wort benennen konnten.

Kreolität aber träumt nicht von einer fundamentalen Rückkehr zu den Ursprüngen. Kreolität ist eine Haltung, die den Europäern gut zustatten käme. Wir müssen das Paradox aushalten, den weltweiten Bedeutungsverlust unseres Kanons zu akzeptieren, und zugleich dessen alte, vernachlässigte Werte für uns zu erneuern. Nur wer sich selber kennt, hat Wertschätzung für andere. Die Europäer sind aufgerufen, sich zu ethnisieren als Abendländer, damit die weltweite Kreolität um die Spolien burgundischer, bretonischer, masurischer und alemannischer Färbungen bereichert werden.

Nachhilfeunterricht gibt es auf der Documenta 11. Adéagbos Installation lädt ein zu einer Schnitzeljagd nach den Herkünften seiner selbst. Die Assemblage ist ein Hypertext, ein Mnemosyneatlas zum Prozeß kultureller Aneignung zwischen Kassel und Cotonou. Das Gewusel an Fundstücken, Malereien und Gedichten ist ebenso vieldeutig, wie exakt zu lesen. Da liegt der Katalog der Documenta I von 1955, an der Wand das afrikanisierende Porträt des Gründers Arnold Bode, Ausgaben der Hessischen Allgemeinen, die den Stationenweg des Künstlers an der Fulda belegen.

In der Wunderkammer findet sich übrigens auch ein Jugendbuch aus den Siebzigern: "Kai in Kamerun, Die Abenteuer eines Jungen in Afrika." Wenn das der deutschen Fußballnation kein Zeichen ist für nächsten Dienstag!

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.06.2002, Nr. 23 / Seite 25

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