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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Biennale von Venedig  
13. Juni 2005
11:17 MESZ
Von
Markus Mittringer  
Foto: APA
Selbst Gilbert & George dürften mittlerweile mit Völlegefühlen nach zu viel Gilbert-&-George-Genuss kämpfen.

Foto: APA
Laut Jury der beste Künstler der internationalen Ausstellung: Der Düsseldorfer Bildhauer und Grafiker Thomas Schütte hat einen Löwen bekommen.

Kunst und Gewaltanwendung
Maria de Corals Sonderschau "The Experience of Art" erweist sich als wenig aufregend

In den Giardini von Venedig erwarten die Besucher 2005 weniger Neuerungen als sanft inszenierte Prater-Erlebnisse. Das ist lustig und tut auch keinem weh. Maria de Corals Sonderschau "The Experience of Art" belegt, dass die Behauptung ganz aus der Mode ist.


Venedig - Man muss sich das einmal vorstellen: Vorbei an hunderten Eindruck schindenden Kunstwerken das Arsenale auf und ab wandern, dann Padiglione um Padiglione wieder zu wenig Zeit haben, um von irgendetwas echt nachhaltig beeindruckt sein zu können, und dann betritt man die deutsche Kunstbotschaft, und dort fallen - wie aus dem Nichts - tanzende Aufseher aus dem Club Mediterrané über einen her und intonieren frohgemut: "It's all so contemporary, contemporary, contemporary!"

Das weckt den Hunger in den Fäusten. Allein Austeilen ist schlecht für das Miteinander, und also steckt man Tino Sehgals gerade Rechte devot ein, sucht Zuflucht bei den ungetümen Skulpturen des Thomas Scheibitz und wünscht den Animateuren ganz fest ein jähes natürliches Ende. Und dann muss man gleich Gilbert & George ertragen, im Nachbarpavillon harte Trauerarbeit ableisten, um angesichts des Verfalls des einst großen Pärchens nicht selbst noch mehr ins Schwanken zu geraten. Irgendein Assistent hat den beiden offensichtlich den Computer erklärt, und, verliebt in die Funktion "Spiegeln", printen sie seither ein Selbstplagiat nach dem anderen.

Da hilft jetzt auch nicht viel, dass Annette Messager für ihren Beitrag im Palais der Franzosen mit dem Hauptpreis der Biennale gekürt wurde. Erstens bringt so ein Preis nichts, außer die Schlange vor dem Einlass lästig zu verlängern, und zweitens ist es im Inneren dann so wie immer bei Messager: das Leben als Passage von der schweren Geburt bis hin zum eher unwahrscheinlichen Tod als Held, dargestellt als rhythmisch pulsierende Abfolge blutroter Polster und Organe.

Der Albaner Sislej Xhafa hat eine 23 Meter hohe Ku-Klux-Klan-Mütze vor die Giardini aufgestellt. Über deren sicher vorhandenes kritisches Potenzial gegenüber irgendetwas speziell Bösem möchte man jetzt aber aus Selbstschutz ebenso wenig wissen wie über die näheren Umstände, die es Fabrizio Plessi immer wieder ermöglichen, seine Bildschirmschoner unübersehbar zu installieren. Diesmal fällt das Wasser den Bildschirm eines ebenso monumentalen wie scheußlichen nadelartigen Gebildes herab in die arme Lagune.

Dank der Firma Illy wurde Espresso während der Premierentage heuer gratis verteilt, und so konnte ein K. o. vor der letzten Runde gerade noch verhindert werden.

Crashkurs

Aber dann! Maria de Coral, gemeinsam mit Rosa Martinez Kuratorin der diesjährigen, der 51. Kunstbiennale von Venedig, haut mit The Experience of Art voll hinter die Deckung. Eine Art von Erfahrungsaustausch zwischen Kunstwerken hat sie in Szene gesetzt, im zentralen Italienischen Pavillon ein babylonisches Palaver losgetreten, das seinesgleichen nur in Kunstmessen findet.

Francis Bacon und Antoni Tàpies reden da ebenso verzweifelt aneinander vorbei, wie Thomas Ruff (statt hochscharf oder extrem verschwommen jetzt maniriert gepixelt) und Agnes Martin nicht zueinander finden wollen. Eine Bruce-Nauman-Installation findet sich da, ein lustiges Mark-Wallinger-Video mit einem Hauptdarsteller im Bärenkostüm dort, und der Abguss eines Stiegenhauses vom diesbezüglichen Spezialunternehmen Rachel Whiteread irgendwo deplatziert in der Mitte; draußen vor der Tür ein Dan-Graham-Pavillon ohne Aussicht auf adäquatem Umgang, weil am falschen Ort platziert, drinnen eine beklemmend enge Abfolge von Videokabinetten, durch die - ohne Angebot einer Umfahrung - der Hauptbesucherstrom geleitet wird: selten glich eine Schau einer so beliebigen Anhäufung von guter wie schlechter Kunst, selten wurde die Idee, einen Mix aus Generationen und Medien zu kreieren, so erbärmlich umgesetzt.

Und überhaupt gehört die Mix-Idee, ehe sie auch nur angedacht wurde, sofort unterbunden. Wer "multi" zum Thema erhebt, schiebt entweder die vermeintlich überwundenen Grenzen vor sich her und denkt demnach in altbewährten Schubladen, oder aber tarnt damit seine Expansion in neue Märkte mit einem Interesse an neuen Erfahrungen.

The Experience of Art ist prototypisch für die Angst davor, etwas zu behaupten, die Angst vor Konsequenzen bezüglich der eigenen Position. Maria del Coral hat aus ihrer Position heraus alles richtig, sie hat mit ihrer Schau eine beachtliche Anzahl von Händlern, Künstlern und Sammlern glücklich gemacht. Sie hat sich als Freund erwiesen und neue Freunde gewonnen. Sie wird Dank ernten.

Frei von Meinung

Und bekanntlich besteht die Perfidie dieser (Nicht-)Haltung ja darin, potenzielle Feinde vermittels Umarmung zu entmachten. Wenn jede einzelne Arbeit dieser Schau auch nur eine Behauptung darstellt, eine Forderung stellt, eine Hoffnung zu formulieren versucht, dann dient der Mix, so wie er hier serviert wird, ausschließlich dazu, all diese Ansprüche zu neutralisieren.

In den Einführungen zu diesem und ähnlichen Vorhaben liest man dann auch gerne absichernde Formeln wie "I would like the labyrinthine path trough the Italien Pavilion to be seen not as a finished story, but as a process defined in terms of relations between different subjects, forms, ideas and spaces; more like a centre of research than a mass of certainities." Womit uns die Kuratorin am kunstterminologischen State of the Art beeindruckend nichts gesagt hat. (Der Standard, Printausgabe, 13.6.2005)


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