diepresse.com
zurück | drucken
16.01.2002 - Ausstellung
Radikal in Furor und Sentiment
Alfred Hrdlicka, demnächst 74, physisch derzeit etwas angeschlagen, gilt eine aus Privatsammlungen zusammengezogene Schau des Kunsthistorischen Museums und der Galerie Hilger im Palais Harrach.
VON KRISTIAN SOTRIFFER


Das Doppelporträt Oskar Kokoschka/Alfred Hrdlicka mit dem Titel "Mörder Hoffnung der Frauen" (nach OK, 1996) bestimmt das Plakat der Ausstellung. Mördertaten, Frauenopfer und Hoffnung auf die Wirkkraft von Revolten haben Hrdlickas Leben und seine Kunst geprägt. Wie sich sein radikaler Furor über vierzig Jahre austoben und über wechselnde Ausdrucksmittel Gestalt annehmen konnte, welche künstlerischen Verwandtschaften dabei mitgespielt haben - das wird jetzt einmal mehr offenbar.

Es sind die Vorlieben und der Kenner-Blick einer Reihe von Privatsammlern, von denen das in den Prunkräumen des Palais Harrach gereihte Panorama der Schrecken und der Finsternisse bestimmt wird. Darunter eine beträchtliche Anzahl bisher verborgen gebliebener zeichnerischer Entwürfe, die diverse Martyrien apotheosen- und metaphernartig aufflackern lassen. Der Meister selbst ist oft dabei in eingeschmuggelten Darstellungen seiner düster dreinblickenden Erscheinung. Zum Beispiel bei der Heiligen Ursula oder auf einem "Sklavenmarkt".

Peter Baum hat aus den sich ihm öffnenden Sammlungen, unter ihnen die des Galeristen-Freundes Ernst Hilger, nach seinen Kriterien ausgewählt. Und dabei vor allem die Raumverhältnisse berücksichtigt, das Zyklische in Alfred Hrdlickas "expressivem Universalismus".

Was an den Wänden an reinen Schwarzweiß-Blättern neben malerischen Mischtechniken und Blöcken von Radierungen rhythmisch geordnet wurde, erscheint von einigen großen Bronzegüssen zentraler Steinarbeiten begleitet. Aber auch von zahlreichen ein wenig teigig wirkenden kleinen Bozzetti, die wohl vor allem dem Handel dienlich sind.

Hrdlickas stets erregtes, direktes, meist sicheres Reagieren auf Martialisches als ein zwischen der Renaissance und den "J'accuse"-Attitüden des 19. Jahrhunderts beheimateter Zeitgenosse hatte stets heterogene Ergebnisse zur Folge. Sie lassen sich besonders gut an einem Radierzyklus "Die Revolution 1848" ablesen, betreffen aber auch technische Vorgänge mit wechselnder "Trefferquote" (Pressetext).

Alte und neue Greuel

Das Operieren mit Kreiden, Pastellen und Kohle verführt ihn häufig zum Ausspielen einer routiniert vorgetragenen Formen- und Materialmixtur. In seinen Schwarzweiß-Arbeiten wirkt sein Strich (ähnlich wie bei den Radierungen) konziser, schärfer, den gelungensten Bildhauer-Extrakten analog wie gemeißelt.

Sein Themenreichtum im belesenen Überblicken der Historie von der Antike bis zu jüngeren Greueln und Handlungen rekurriert stets auf sein Credo, daß "alle Macht in der Kunst vom Fleisch" ausgehe. Die damit verbundenen Obsessionen ließen ihn zu einem der großen Einzelgänger des 20. Jahrhunderts werden. Seine Dynamik, seine Emphase, seine direkte Anteilnahme im einseitigen Darlegen des Ungeheuerlichen im menschlichen Wesen könnte zum Übersehen seiner Sehnsucht führen, zu lieben und geliebt zu werden. Hrdlicka ist ein sehr "wienerischer", abgründiger Künstler insofern, als hinter seinem grobschlächtigen Auftreten ein tiefes Sentiment steckt, eine große Zuneigung gegenüber allen Gequälten, Ausgelieferten vor allem unter seinesgleichen.

Bis 28. Februar, tägl. 10 bis 18 Uhr.



© Die Presse | Wien