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Hannover
Kunst rund um die EXPO 2000
von Raimar Stange

Kunst an und begleitend zu einer Weltausstellung – kann das heute mehr sein als blosse Dekoration, als ein weiteres Stück Eventkultur? Kann man tatsächlich einen ästhetisch-diskursiven Rahmen zur EXPO 2000 in Hannover inszenieren oder hätte man hier, auf dieser sich infantil gebenden Spielwiese tourismusbegeisterter Nationen und postkapitalistischer Global Players, sich der auch finanziell reizvollen Herausforderung schlicht verweigern sollen? James Turrell jedenfalls konzipierte die Lichtgestaltung des EXPO-Domizils vom Medienmogul Bertelsmann.

‹Die Gedanken wollen frei sein. Lassen Sie sie raus. Und mit anderen Gedanken spielen›, wirbt das Unternehmen Siemens für seine
Präsentation auf der Weltausstellung. Die Selbstlosigkeit des Engagements des bekanntlich auch als ‹Kulturprogramm-Anbieter› auftretenden Konzerns und ‹World Partners› der EXPO 2000 wurde in der von Roger M. Buergel für das Österreichische EXPO-Kunstprogramm kuratierten Ausstellung ‹Gouvernementalität› arg in Frage gestellt. Dort nämlich war das Bild ‹Questionnaire an H. von Pierer› von Dierk Schmidt zu sehen, eben das Bild, das 1998 aus der von Siemens mitveranstalteten Show ‹Brushholder value› ausgeschlossen wurde. Anstoss des damaligen Skandals waren in einer scheinbar sentimentalen Landschaftsszene integrierte Fragen und Statements, die auch das EXPO-Motto ‹Mensch Natur Technik› beleuchteten, beispielsweise: ‹Herr von Siemens, Sie haben in Slowenien den schon in der Basistechnik unsicheren Reaktor mit Sicherheitstechnik ausgestattet. 100 km entfernt von Wien. Gleichzeitig versuchen Sie sich mit Kultursponsoring gerade in Österreich einzuschmeicheln. Vor einer Woche wurde der Reaktor angefahren›. Auch mit anderen Arbeiten, unter anderen von Allan Sekula, Martha Rosler und Octavian Trauttmansdorff gelingt es ‹Gouvernementalität› einen kritischen Spannungsbogen aufzubauen, der die Sprengung des Weltwirtschaftsgipfels in Seattle am Ende des Jahres 1999, die schwarz-blaue Regierung in Österreich und die EXPO 2000 in eine problematische Dreieinigkeit stellt. Peter Friedls Neonschrift ‹Neue Strassenverkehrsordnung› schliesslich zitiert einerseits den Titel eines Buches des ehemaligen ‹RAF-Anwaltes› Horst Mahler, erinnert andererseits so auch daran, dass Ulrike Meinhoff damals in Hannover gefangen genommen wurde. Ist es Zufall, dass diese Ausstellung ausserhalb des EXPO-Geländes gezeigt wird? Zivilcourage jedenfalls hat Hans Knoll, der österreichische Kulturbeauftragte für die EXPO, mit seinem Einsatz für diese Ausstellung sicherlich bewiesen!

In die Höhle des Löwens hat sich die Show ‹In Between› gewagt, denn diese Präsentation von 13 internationalen Kunstprojekten von Mauricio Cattelan, Franz West, Carsten Höller/Rosmarie Trockel bis zu Roman Signer findet mitten auf dem EXPO-Gelände statt. Gut getan hat es der Open-Air-Ausstellung kaum. Nicht dass die einzelnen Arbeiten wie Tobias Rehbergers künstlich beschneiter ‹japanischer Garten› nicht zu überzeugen wüssten, das Problem ist vielmehr, dass die Kuratoren Kasper König und Wilfried Dickhoff auf jedwede explizit politische Arbeit verzichtet haben – und dies bei besagtem EXPO-Motto!

So können die Gedanken eben nur im Sinne von Siemens frei sein: statt widerspenstig zu agieren, gibt sich die Kunst hier poetisch,
verspielt und witzig – wie etwa das viel zu kleine, halb in die Erde versenkte Riesenrad von Gabriel Orozco. Und doch setzten die Arbeiten sich auch als besser gemeinte Unterhaltung nicht durch: Paul McCarthys ‹kackbrauner›, aufgeblasener, 25 Meter hoher Pinocchio mit eingebautem Schokoladenautomat etwa wurde von dem täglich erscheinenden EXPO-Journal bereits zu den ‹Flops› der EXPO gekürt. So bleibt das Projekt tatsächlich ‹In Between›, ist weder kritischer Diskurs noch unterhaltendes Event.

Der Kunstverein Hannover zeigt zur EXPO 2000 Gerhard Merz, den (selbst)ernannten ‹Vollender der Moderne›. Ein streng geometrischer Pavillon im grellen Licht wird pointiert in einem ausgedienten Güterbahnhof präsentiert. So puristisch und formal schlüssig sich die Arbeit auch gibt, so wenig knüpft sie mit ihrem ideologisch gefährlichen Dogma des ‹reinen Geistes› an einen aktuellen Diskurs um Verortung an, der eben längst auch die Virtualität und Mobilität von Raum sowie dessen emotionale Qualitäten mitbedenkt.

Im hannoverschen Sprengel Museum war die Fotoausstellung ‹How you look at it› zu sehen. Die von Thomas Weski zusammengestellte Auswahl von künstlerischer Fotografie aus dem letzten Jahrhundert hat ihren Schwerpunkt auf die amerikanische ‹realistische› Fotografie gelegt und überzeugte hier mit ausgesucht guten Arbeiten. Weniger spannend dagegen war Weskis Wahl bei aktuelleren Positionen: Wolfgang Tillmans und Sharon Lockhard beispielsweise fehlten da genauso wie etwa Christopher Williams oder Nan Goldin.

Mit ‹Aller Anfang ist MERZ› zeigt das Museum darüber hinaus eine gross angelegte Gruppenausstellung, welche die Folgen des Werkes von Kurt Schwitters auf derzeitige künstlerische Produktionen thematisiert. Mit dabei sind unter anderen Lois Renner, Nana Petzet, John Bock, Gregor Schneider und die österreichische Künstlergruppe Gelatin, die mit ihrem unterirdischen ‹Weltwunder› auch bei ‹In Between› dabei sind.

Im Historischen Museum und im Kestner Museum Hannover schliesslich zeigen zehn nicht europäische Künstlerinnen, beispielsweise Quin Yufen aus China, in der Ausstellung ‹strange home› Installationen und multimediale Arbeiten zum Thema Migration und Multikultur. Dabei suchen die Künstlerinnen anlässlich der EXPO die Auseinandersetzung mit den in den jeweiligen Museen präsentierten historischen Exponaten.

Noch aktuell: ‹strange home› bis 3.9.; ‹Gerhard Merz› bis 31.10.; ‹Aller Anfang ist MERZ› bis 5.11.

Bis 31.10.2000

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Ausgabe: 09 / 2000
Ausstellung: ( - )
Autor/in: Raimar Stange