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Kunstberichte

Galerien live

Kunst und Blumengießen

Aufzählung (cai) Was ist das? Es ist weiß wie Zahnpasta, rot wie Zahnfleischbluten und an einer Stelle schwarz wie Karies. Hm. Theoretisch das gemeine Lächeln von Schneewittchens böser Stiefmutter. Praktisch handelt es sich freilich um eine sehr lebensechte Installation. Nein, die befindet sich natürlich nicht in irgendeinem Mund, sondern eh in einer Galerie.

So stellt sich Alfredo Barsuglia also den Warteraum einer Zahnarztpraxis vor: weißer Flokati, rote Sesserln und auf dem Tisch ein hohler Plastikzahn voller schwarz eingewickelter Zuckerln, die auf Grapschfinger zu warten scheinen wie die Zahnfäule auf den Bohrer. Die Rachenputzer sind allerdings gar nicht zur freien Entnahme. Die Kunst wirkt hier eben so real, dass man jegliche Scheu vor ihr verliert. Aber bloß, weil die Sessel nicht mit einem Respektsabstandshalter ausgestattet sind (mit einem Reißnagel), heißt das nicht, dass man Platz nehmen darf. Auf die Mona Lisa tät’ sich doch auch keiner draufsetzen. (Gut, das wär’ nicht ganz dasselbe.) Die Tapete zeugt übrigens von oralsadistischem Humor. Die "Blümchen" sind ornamental arrangierte Zähne.

Darf man eigentlich bei der andern Installation, bestehend aus einem penibel gemalten Schmetterling (Technik: Acryl auf Wand) und einem 3D-Objekt (Technik: Pflanze im Topf), wenigstens das Grünzeug gießen? Oder soll das verdorren (als Memento mori)? Barsuglia treibt jedenfalls ein raffiniertes Spiel mit den Realitätsebenen, mit Kunst und Leben. Und vor seinen makellosen Porträts (benutzt er etwa den berüchtigten Einhaarpinsel?) klappt einem sowieso staunend das Unterkiefer runter. Dass er oft nur gewisse, markante Stellen bis zum Hyperrealismus, bis zum Exzess, ausarbeitet und der Rest rohe Zeichnung bleibt, nimmt der Perfektion ihre Sterilität. Zum Glück hat er also das Leonardo-Syndrom. Der da Vinci hat ja ebenfalls vieles nicht vollendet. So als würde ich, weil’s mich nicht mehr freut, einfach mitten im Satz ...

Galerie Gans
(Kirchberggasse 4)
Alfredo Barsuglia
Bis 23. Oktober Di. – Fr.: 12 – 18 Uhr Sa.: 12 – 15 Uhr

Der Schinken Babe

Aufzählung (cai) Die Milch kommt aus glücklichen Eutern, Bambis Mutter lebt (jö, wie Elvis!) und das Schweinchen Babe ist nie erwachsen, sprich ein Schinken, geworden. Solche Märchen brauchen wir halt. Sonst müssten wir ja alle Veganer werden. Warum Gabriele Schöne naive Genreszenen mit Viecherln malt, leuchtet irgendwie ein. Beziehungsweise warum sie sie nicht malt. Oder nicht vollständig. Sondern die Bambis und Schweindis ausspart. Weiße Lücken in der Idylle lässt. Das ist ein ironischer Kommentar (und nicht das Leonardo-Syndrom – siehe oben). Ja, ein bissl billig ist es schon. Wenn daneben Thomas Reinhold seine Farben über die Leinwand rinnen lässt (mit einer Finesse, dass es eine Freud’ ist), so ist das aufregender. Naturgewaltig und doch kalkuliert. Lustvolle Dialoge zwischen der Buntheit und der Schwerkraft.

Galerie Michitsch
(Opernring 7)
Wesentlich
Bis 31. Oktober Mo. – Fr.: 10 – 18 Uhr Sa.: 11 – 15 Uhr

Surfen ist Silber

Aufzählung (cai) Der Arnulf Rainer übermalt Totenmasken, der Hans Weigand macht dasselbe mit den sterblichen Überresten einer Mörderin. Die stehen jetzt, hübsch schillernd, bei der Senn herum. Okay, die Verbrecherin ist eine Pflanze. Eine Würgefeige, die ihr Opfer, einen Baum, mit ihren Luftwurzeln stranguliert hat. Weigands Œuvre (ein wildes Sammelsurium aus hoher Kunst und Popkultur) ist irgendwie voller Gewalt. Die silbernen Lappen in den Vitrinen stellen aber wohl trotzdem nicht die abgezogene Haut des Silver Surfers dar, auch wenn dieser Superheld überall auftaucht. Wie sich hier Rätselhaftigkeit mit gschmackiger Ästhetik verbindet, ist ziemlich faszinierend.

Gabriele Senn Galerie
(Schleifmühlgasse 1a)
Hans Weigand
Bis 31. Oktober Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr Sa.: 11 – 15 Uhr

Printausgabe vom Mittwoch, 14. Oktober 2009

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