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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
28. Juni 2005
20:08 MESZ
Lebbeus Woods, System Wien, MAK-Galerie, bis 16. 10. 
Foto: Zeltl
Billig, aber effizient: Lebbeus Woods' "System Wien" verwandelt die Stadt und auch sein "Headquarter", die MAK-Galerie, in ein Spiel aus Geometrien und Kräften.

Foto: Alexandra Pawloff
Lebbeus Woods: Aura der Düsternis als Markenzeichen.

Kraftpfeile im Fleisch der Stadt
Mit "System Wien" will der US-Architekt Lebbeus Woods intelligente und emotionale Energie durch die Wiener Innenstadt schleusen

Wien - Lebbeus Woods ist ein Mann, der die Aura der Düsternis um sich trägt wie die Krieger der Sterne unsichtbare Schutzschilde. Bereits in den 60er-Jahren hat der 1940 geborene Amerikaner die Welten der Sciencefiction mit seinen architektonischen Gesichten verknüpft und fantastisch-spacige Bilderwelten erschaffen, gegen die sich die frühen Konstruktionsmalereien Zaha Hadids ausnehmen wie fröhliche Kinderbilder.

Er hat die Filmarchitektur von Alien 3 mitentworfen und die Macher des SciFi-Thrillers Twelve Monkeys erfolgreich verklagt, weil sie seine Bilder ungefragt in dreidimensionale Filmsets ungewandelt hatten. "Ich habe genug von Hollywood gesehen, um zu wissen, dass ich nichts damit zu tun haben will", sagt er.

Lebbeus Woods' fein detaillierte Architekturvisionen sind wie Vorboten einer fernen, zum Teil durchaus apokalyptisch anmutenden Architekturwelt. Sie hängen in namhaften Museen und in den Privatgalerien diverser Sammler, und sie ernähren ihren Erschaffer - denn Lebbeus Woods ist ein Architekt, der nicht baut, sondern vielmehr Gedankengebäude entwirft. Wenn er von ihnen erzählt, beginnt sich die Düsternis allerdings rasch zu lichten, Woods' Thesen sind klar formuliert und von positiven Kräften geprägt.

Er sei Architekt, wenn er auch im Grenzgebiet zur Kunst wandle, meint er im Gespräch mit dem STANDARD, und berichtet sodann von der Stadt, die letztlich nichts anderes sei als die Summe verschiedenster Energien, die sich in stetem Fluss befänden, und die, zumindest temporär und an bestimmten Stellen, durch architektonisch-künstlerische Intervention beschleunigt werden könnten.

Für das Museum für angewandte Kunst in Wien (MAK) hat Woods nun genau ein solches Projekt umgesetzt: System Wien, ab heute, Mittwoch, zu sehen, verwandelt einerseits die MAK-Galerie in ein Spiel aus Geometrien und Kräften, und es unterwandert andererseits in subversiver Manier die Wiener Innenstadt. An manchen Tagen dieses Sommers wird sich in bestimmten Gassen und Plätzen ein Team von Tänzern unter der Choreografie von Oleg Soulimenko mit gekrümmten und verschiedenartig kombinierbaren metallenen Stäben einfinden und diese schweigend zu temporären Rauminstallationen zusammenfügen.

Für Lebbeus Woods stellen die Stäbe ein System von Vektoren dar, ein Spiel aus störenden oder ergänzenden Kräfteflüssen, die den gewohnten Raum der Stadt neu interpretieren und den Betrachtern für flüchtige Momente ungewohnte Perspektiven eröffnen sollen.

"Wien ist eine tolle Stadt, aber man muss mehr Risiko eingehen, neue Möglichkeiten ausschöpfen und neue emotionale Energie in dieses schon sehr geschichtsorientierte System bringen." Woods will mit den Vektoren verdeutlichen, dass eine Stadt ohne ständigen Input intelligenter und kultureller Kräfte ihren Status quo nicht halten kann, denn: "Jeder Verfall ist vorprogrammiert."

Wann und wo genau sich der Zauber durch die Stadt bewegen wird, bleibt offen. Abends ziehen sich die Vektoren jedenfalls langsam wieder Richtung MAK zurück, dem "Headquarter" der Aktion, wie Woods das nennt.

Hier befindet sich auch die statische Variante von System Wien, das Woods gemeinsam mit dem jungen österreichischen Kollegen Christoph a. Kumpusch entwickelt hat: In der rundum kohlrabenschwarz ausgepinselten Galerie sind Metallseile in streng geometrischer Choreografie zwischen Decke und Boden gespannt. Gemeinsam mit den weißen und teils farbigen Vektoren, die mit rauer Kreidetextur an die Wände appliziert wurden, ergeben sich dreidimensionale Raumgrafiken, die sich der Besucher "ergehen" muss. Kumpusch: "Es gibt einen Pfad, aber den muss jeder selbst finden."

Was, außer hübsch und interessant ausschauen, kann System Wien also? "Natürlich bin ich sehr an Ästhetik interessiert", sagt Lebbeus Woods, "aber tatsächlich geht es mir um die politische Dimension, die Architektur immer haben muss. Es geht um die Frage, wie wir uns verändern, in welche Richtung wir uns verändern, es geht um unsere Ideen und darum, welche Rolle Architekten dabei spielen können."

Er habe für sich schon vor langer Zeit entschieden, dass er "nicht von Firmen und Regierungen abhängig sein" wolle. Ihn interessierten vielmehr "Denkexperimente, die vor allem jungen Architekten, die noch herausfinden müssen, was sie wollen, dabei helfen, ein wenig abenteuerlicher in ihrem Denken zu werden."

Die Architektur, so sagt er, habe sich seit Ende des vergangenen Jahrhunderts völlig aus der Verantwortung genommen: "Entscheidungen werden getroffen, und die Architektur ist nur noch eine kleine Dekoration dieser Entscheidung. Mit System Wien, das sehr wenig kostet, das aber den Maßstab der Straße, des Platzes, des Raumes hat, will ich zeigen, dass Ideen auch ohne großen Aufwand und ohne viel Geld zu verschlingen sehr mächtig sein können - und die Leute, die man nicht unterschätzen sollte, werden das verstehen." (Ute Woltron/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29. 6. 2005)


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