Salzburger Nachrichten am 20. April 2005 - Bereich: kultur
Gemaltes Gefühl Die Sammlung Essl
präsentiert die Doyenne der österreichischen Malerei, Maria Lassnig, als
empfindsame, kraftvolle und ironische Künstlerin.
Hedwig KainbergerKlosterneuburg (SN). Wer kennt nicht das Gefühl, in
New York gewesen zu sein? Man geht durch Schluchten von Wolkenkratzern,
man wohnt in einem 26. Stock, diniert in einem 49. Stock und schaut vom
102. Stock des Empire State Buildings über die Stadt. Verlässt man New
York, bleibt ein Gefühl, als wäre man nicht nur durch, sondern über diese
Stadt gegangen. Maria Lassnig hat dieses Gefühl in ein Bild gefasst, das
in der Retrospektive der Sammlung Essl in Klosterneuburg zu sehen ist, die
am Dienstagabend eröffnet wurde. Dieses Bild zeigt eine Frau, die aus und zugleich über New York
schreitet. Eine Siegerin? Nein, denn ihr Körper ist bloß und verletzlich,
sie hat nicht nur keinen Boden unter sich, sondern auch keine Füße. Und
ihr Gesicht ist geblendet. Oder löst es sich im Himmel auf? Dieses Bild namens "Woman Power" aus dem Jahr 1979 ist programmatisch
für Maria Lassnigs Schaffen. Es entstand am Ende ihres zwölfjährigen
Aufenthalts in New York, prangt in den für Lassnig typischen hellen,
kraftvollen Farben, ist eines ihrer vielen Werke, in dem sie sich selbst
darstellt. Und es ist dem Thema gewidmet, das ihre Malerei beherrscht:
Körpergefühl. Es passt auch zu dem Zitat, das die Kuratorin Christine Humpl als
Leitmotiv gewählt hat: "Ich trete gleichsam nackt vor die Leinwand, ohne
Absicht, ohne Planung, ohne Modell, ohne Fotografie, und lasse entstehen.
Doch habe ich einen Ausgangspunkt, der aus der Erkenntnis entstand, dass
das einzig wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des
Körpergehäuses abspielen: Physiologischer Natur, Druckgefühl beim Sitzen
und Liegen, Spannungs- und räumliche Ausdehnungsgefühle - ziemlich
schwierig darstellbare Dinge." Er und seine Frau seien erst Anfang der 80er Jahre das Werk Maria
Lassnigs entdeckt, berichtete der Sammler Karlheinz Essl in einer
Pressekonferenz. Bald hätten sie die Künstlerin in ihrem Atelier besucht,
seither seien sie in vielen Begegnungen und mit intensiven Gesprächen in
Kontakt geblieben. "Sie ist eine der ganz großen
Künstlerpersönlichkeiten", sagte Essl. Ihn beeindrucke die Kraft und
Vitalität ihrer Bilder und ihre Fähigkeit, die eigene Person mit Kunst in
Zusammenhang zu bringen. Maria Lassnig wurde 1919 in Kappel in Kärnten geboren, lebte in den
sechziger Jahren in Paris, von 1968 bis 1980 in New York. Dann
unterrichtete sie bis 1997 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien,
wo sie als erste Frau im deutschsprachigen Raum Professorin für Malerei
war. Derzeit lebt und arbeitet sie in Wien und Kärnten. Karlheinz und Agnes Essl haben die größte Privatsammlung von Werken
Lassnigs seit den 80er Jahren. Die 40 Ölbilder, 35 Aquarelle und acht
Filme sind bis 28. August in der Sammlung Essl zu sehen. Zudem werden -
als Leihgaben der Wiener Galerie Ulysses und erstmals in einem Museum -
sieben Skulpturen Maria Lassnigs gezeigt. Information:
www.sammlung-essl.at |