Salzburger Nachrichten am 21. Juni 2006 - Bereich: Kultur
Verdirbt, wer wirbt?

HERBERT GIESE

Vor kurzem wurde an dieser Stelle die monetäre Gretchenfrage heutigen Kulturgeschehens gestellt. Verkürzt formuliert wurde gefragt: Darf denn das sein, dass sich Kunst mit Werbung ins Bett legt? Dass vor, zwischen und nach der Darbietung von Kunst Werbung zum Beispiel für eine Versicherung oder einen Elektronikkonzern gemacht wird? Dass eine Kirche zum Werbeträger wird? Dass die hehre Aura von Kreativität und Sinnsuche von schnödem Mammon entheiligt wird?

Diese Frage legt die Hand auf die vielleicht schmerzendste Wunde heutiger Kunstproduktion. Auf den Umstand nämlich, dass es für Kunst kaum noch Auftraggeber gibt. Kunst war über Jahrtausende vor allem zum Verherrlichen da. Die Reichen und Mächtigen dieser Welt ließen sich und ihre Legitimation, die jeweilige Religion, in unterschiedlichen Formen hochleben, verehren und bejubeln. Und sie bezahlten dafür. Selbstverständlich nahmen sie Einfluss und kein Künstler, kein Denker beschwerte sich.

Heute spielt die Kunst (außer im allerkleinsten Rahmen) keine Rolle mehr. Verherrlicht wird auf andere Weise. Manchmal darf die Kunst als Feigenblatt fungieren, als Hintersetzer für Politikerinterviews etwa oder bei staatserhaltenden Jubiläen. Aber wesentlicher Bestandteil öffentlichen Lebens ist sie nicht mehr.

Arme Tröpfe dabei sind die Künstler. Sind sie doch, kaum entschlossen, die Welt zu verändern, mit einem nicht funktionierenden Markt konfrontiert, einer zahlungsunwilligen Administration und einer wenig bis gar kein Verständnis aufbringenden Öffentlichkeit.

Drei mögliche Lösungen bieten sich an. Die erste und keineswegs schlechteste wäre, einfach weniger Kunst zu machen. Es wird auf dieser Welt sowieso viel zu viel Kunst produziert, die kein Mensch braucht und die meist schlecht ist. Dieser Ansatz ist freilich ähnlich realistisch wie der zweite mögliche, dass nämlich die öffentliche Hand einfach ihre Budgets vervielfacht und so zum großen Auftraggeber mutiert.

Die dritte Lösung, die praktikabelste, ist die eingangs angesprochene. Die Verbindung von Kunst und Kommerz. Und es ist nicht einzusehen, warum das verwerflich ist. Um die "Freiheit der Kunst" brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Die Künstler der Welt haben Diktatoren ausgehalten und Fürsterzbischöfe, größenwahnsinnige Päpste und kleinkarierte Minister, und sie haben trotzdem Kunst geschaffen. Was können ihnen da eine Versicherung oder ein Elektronikkonzern schon anhaben?