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02.09.2006 - Kultur&Medien / Medien
Linz: Computer-Philosophie mit dem Hammer
VON THOMAS KRAMAR
Ars Electronica. "Simplicity": Das "Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft" macht sich sein Thema leicht.

Ein dumpfes Klopfen, selten wütend, meist stoisch, das ist der Sound der heurigen Ars Electronica auf dem Linzer Hauptplatz. "Simplicity" ist das Festival-Motto, und, ja, simpel klingt es, das Klopfen auf das "Sledgehammer Keyboard": Mit einem Hammer schlägt man auf eine große Plastik-Computertastatur. Makromechanik gegen Mikroelektronik, die brachial-archaische Antwort auf moderne Technologie, wir haben's verstanden.

Ähnlich simpel ist die Pointe etlicher Installationen: Das "Cell Atlantic CellBooth" ist eine tragbare Telefonzelle für Mobiltelefonierer; im "PingPongPixel" werden, erraten, Bilder aus Tischtennisbällen zusammengesetzt, mit entsprechend schlechter Auflösung. Schlauer - und dabei verblüffend simpel - ist "Silver Cell": nichts als ein aus Silberfäden und Kunststoff gewobenes Etui fürs Handy, das als Faradayscher Käfig naturgemäß Empfang wie Senden verhindert. Eine Art elektromagnetischer Tarnkappe, zugleich ein Stück Widerstand gegen die ständige Erreichbarkeit. Die hat ja, wie schon der alte Freud wusste, das Unbehagen nur verschoben.

Das Unbehagen, meinen die Ars-Köpfe, werde heute von der allzu "komplexen" Technologie geschürt. "Technologie ist keine Naturgewalt, sondern wird von Menschen gemacht", schreiben Gerfried Stocker und Christine Schöpf treuherzig, "also sollte es doch auch möglich sein, sie für Menschen zu machen." Wer will da widersprechen?

Im Grunde genauso trivial sind die Ausführungen des US-Designers und Computerkünstlers John Maeda, der das heurige Symposium ausrichten durfte: "Es gibt kein Zurück in die Zeit, als große Gegenstände komplex und kleine einfach waren", schreibt er. Wann war diese Zeit? Zumindest seit Entstehung des Lebens wuseln auf Erden kleinste Wesen, die noch immer viel komplexer sind als jede Technologie. Im Weiteren variiert Maeda vor allem den Gemeinplatz, dass Benutzeroberflächen bitte benutzerfreundlich sein sollen und nicht unbedingt Einblick ins elektronische Innenleben des Gerätes erlauben müssen.

Maedas eigene Ausstellung im Lentos trägt allerdings den gewagten Untertitel "Seven motion pictures that depict the unnatural space of the computer's mind". "Der Künstler möchte uns den Computer näher bringen und ein besseres Verständnis für dessen Innenleben vermitteln", heißt es gänzlich unironisch im Begleittext. Wer die Psychologie integrierter Schaltkreise scheut, kann nur konstatieren: Diese Computerbilder sehen wie alle Computerbilder aus wie - Computerbilder. Die guten alten Bläschen, Blümchen, Kriställchen, Fraktälchen. Beim Betrachten dieser Bilder versteht man wieder, warum die Kategorie "Computerkunst" im Prix Ars Electronica längst abgeschafft ist.

Das wäre eine interessante Frage zum Festival-Thema: Sieht man komplexen Gebilden, die aus simplen Regeln entstanden sind, ihre Entstehung doch irgendwie an? Oder: Wie sieht Komplexitätsreduktion wirklich aus? Dazu hat die Schwedin Arijana Kajfes in "Occular Witness" (zu sehen im O. K Centrum, siehe rechts) kluge Versuchsanordnungen entwickelt: stark reduzierte Modelle des Sehens, quasi künstlerische Rückblenden in die frühe Evolution des Auges, gerade so nachdenklich kommentiert, dass es nie ins Esoterische abgleitet.

Die meisten Künstler der Ars meinen aber offenbar mit "komplex" nur "kompliziert" - und reagieren darauf mit dem schlichten Imperativ: Macht es uns einfacher (sonst werden wir ironisch)! Oder sie flüchten ins Reproduzieren "kluger" Sätze. So liest man im Brucknerhaus zu einem Projekt namens "IC[*]Multidimensional Particle Projector for Emergent Processes" die Erklärung: "Emergenz ist eines der wichtigsten Themen in neuen Wissenschaftsbereichen, die sich mit Komplexität und transdisziplinärer Forschung auseinander setzen." Dazu Bilder, die an Molekülmodelle erinnern.

So bleibt die unbestimmte, quasi spätromantische Sehnsucht nach dem Einfachen, Durchschaubaren, Voraussehbaren. Zumindest in ihrem Auftreten fügten sich die Gäste der Kunstuni Helsinki diesem Begehren: Sie schenkten am Brunnen, wie es sich für Finnen gehört, Wodka aus Pappbechern aus. Und die traditionelle Eröffnungsparty, heuer am Hafen, ergänzte das alte Rezept "Industrieromantik + Techno" mit Steckerlfisch. Der war leider gar nicht leicht zu essen.

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