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16.11.2006 - Kultur&Medien / Klassik
Der Sturm der bunten Papageien
VON ALMUTH SPIEGLER
Pathetisch, aber erlebnisreich: Die Ausstellung von "New Crowned Hope" im Künstlerhaus.

Zehn Tage vor ihrem neunten Geburtstag wird Eva abgeholt und in einen sibirischen Gulag gebracht. Sie war vor den Nazis von Wien nach Lettland geflohen. Doch als die Russen 1940 das Baltikum besetzten und der Krieg ausbrach, wurden Eva und ihre Familie als "feindliche Ausländer" interniert. In der Hand hatte sie das verfrühte Geburtstagsgeschenk ihrer Mutter, eine Puppe. Es war die einzige im Lager - und rettete ihrem Stiefvater das Leben, als sie gegen Essen eingetauscht werden konnte.

Eva überlebte die Gräuel des Gulag, eine Blinddarm-Operation ohne Narkose, die Zwangsarbeit, den Rattenfraß. Sie war 15, als sie eineinhalb Jahre nach Kriegsende nach Wien zurücktransportiert wurde. Wenig später wanderte sie nach Australien aus - und begann, Spielzeug zu produzieren. Vor allem Puppen nähte sie.

Von diesem Schicksal weiß man allerdings noch nichts, wenn Eva einem in einem kleinen stockdunklen Raum im Wiener Künstlerhaus gegenübertritt. Virtuell natürlich. Nicht einmal ihren Namen kennt man. Aber hebt man die Hand und legt sie auf den transparenten Stoff, der die trickreiche Projektion von uns trennt, legt sie die ihrige dazu. Sendet Blicke aus, die man nicht vergisst. Verströmt eine Präsenz, die man im ganzen Körper zu spüren scheint.

Eva ist eine von zehn Frauen, die von der australischen Künstlerin Lynette Wallworth für ihre interaktive Video-Installation "Die Entwicklung der Furchtlosigkeit" ausgewählt wurden. Eine Arbeit, in Auftrag gegeben von Peter Sellars "New Crowned Hope" Mozart-Festival, das neben Film und Oper auch die bildende Kunst miteinschließt. Heute, Donnerstagabend, werden die recht überschaubaren Kunst-Beiträge eröffnet - aufgeteilt auf das Erdgeschoß des Künstlerhauses, wo auch die gemütliche Festival-Zentrale eingerichtet ist, und den "Project Space" der Kunsthalle am Karlsplatz.

Auch hier soll alles um die zentralen Begriffe kreisen, die Sellars aus Mozarts drei letzten Meisterwerken - "Zauberflöte", "La clemenza di Tito" und "Requiem" - gefiltert hat: Magie und Transformation, Wahrheit und Versöhnung und Zeremonien für die Toten. Doch ist es recht müßig, die Kunst daraufhin zu untersuchen. Was bleibt, ist eine pathetische Grundstimmung, die nebelig alle ausgewählten Arbeiten verbindet. Ebenso wie die Neigung zu theatralischen Effekten.

US-Videokunst-Guru Bill Viola, muss man feststellen, scheint jetzt allerdings vollends in die Esoterik abgedriftet zu sein, folgt man seinem neuen bewegten Diptychon, in dem ein Mann und eine Frau durch eine stetig durch ihre Körper wandernde Lichtkugel langsam ihre physische Präsenz verlieren. Derart will Viola die "tantrisch-buddhistische Beschreibung der Auflösung der Körper während des Prozesses des Todes und der Wiedergeburt" illustrieren.

Da bietet der Äthiopier Elias Sime eindeutig Bodenständigeres: Einen Monat lang stampfte er bereits im Keller des Künstlerhauses Lehm. Jetzt formt er die fermentierte Mischung zu einer Armada von Mistkäfern, die aus dem Untergrund in die Ausstellungsräume auftauchen. Und zu drei monumentalen Skulpturen, die erst im Laufe der Ausstellung fertig werden.

Im Zentrum des Künstlerhauses aber steht dennoch Lynette Wallworth, sie ist die Entdeckung dieser Ausstellung: Neben den starken Frauen-Begegnungen zeigt sie noch drei weitere interaktive Arbeiten. Mit einer Glasschale in der Hand können in einem weiteren Darkroom die Bilder so fragiler wie widerständiger Mini-Unterwasserwesen und Himmelskörper aufgefangen werden. Das vorgeschlagene "Weiterreichen" dieser Gefäße ist dann aber wieder genau die Spur zu viel gewollt. Es bleibt ein schaler Nachgeschmack allzu berechneter Emotion.

Dafür entschädigt der tosende Sturm tausender Papageien, die panisch von einem Baum aufschrecken, betritt jemand den Video-Raum "Still: Waiting 2". Dem Eindringling bleibt nur zu warten, bis sich die Lage wieder beruhigt hat. Und darüber zu sinnieren, dass nichts ohne Folgen bleibt.

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