Salzburger Nachrichten am 28. April 2006 - Bereich: Kultur
Lobbying für die Vielfalt

Das Filmfestival Crossing Europe zeigt in Linz die Vielfalt europäischen Filmschaffens und macht sich unentbehrlich im Dialog naher, aber fremder Welten.

PIA FEICHTENSCHLAGER LINZ (SN). Das Filmfestival Crossing Europe eröffnete mit vier sehr unterschiedlichen Positionen innerhalb der europäischen Filmlandschaft.

Der mehrfach preisgekrönte tschechische Film "Stesti/Something Like Happiness" von Bohdan Slama streift mit seinen Hauptfiguren Monika und Tonik, die in einer trostlosen Umgebung einer tschechischen Industriestadt neben einer Fabrik leben, die Frage nach der Vergänglichkeit des Glücks.

Der türkischstämmige Deutsche Thomas Arslan präsentierte in "Aus der Ferne" eine sehr persönliche Sicht auf den türkischen Alltag von Istanbul über Ankara bis an die iranische Grenze. Arslan findet - jenseits der Schlagwörter "Okzident" und "Orient" - Bilder, die nicht bereits einem vorgegebenen Klischeespektrum zuzuordnen sind.

Dem deutschen Altmeister Werner Herzog dient bei seinem Science-Fiction-Essay "The Wild Blue Yonder" Filmmaterial der US-Weltraumbehörde als Basis für eine Parabel über die Irrsinnigkeiten der menschlichen Sehnsucht nach der Nutzbarmachung der Welt und des Alls. Brad Dourif - als Alien und Erzähler - führt durch eine Kolonisationsgeschichte, die sich nicht auf die Erde allein beschränkt. Astronauten auf der Suche nach einer neuen Heimat haben mit ihrem Gepäck, den Säulen der Zivilisation (Einkaufscenter und Pentagon), die Beschädigung von Welt und All vorangetrieben. Herzog erhöht das Lamentieren seines Aliens mit eindringlichen sardischen Gesängen und Songs des Senegalesen Mola Sylla. Noch mehr als die Bilder der Astronautenmission entwickelt sich diese musikalische ethnologische Reise von "The Wild Blue Yonder" als Anklage an eine mächtige Forschungsbetriebsamkeit. Herzog bleibt seiner Naturbegeisterung treu. Er drehte ein Requiem für einen sterbenden Planeten: romantisch, pathetisch, wahnsinnig und sehr ermüdend.

Mit dem Blick von außen begleitete der deutsche Regisseur Marc Bauder in "Der Kommunist" den früheren Grazer KPÖ-Stadtrat Ernest Kaltenegger bei der Landtagswahl 2005. Man sieht den Stadtrat fröhlich beim Radfahren in der Stadt. Der Wahlkampf der Kommunisten wirkt im Vergleich zu den anderen Parteien unaufgeregt. Kaltenegger punktet bei den Menschen durch soziales Engagement.

Mit dem Wort Kommunismus haben aber nicht nur die ORF-Reporter ihre Probleme. Bauder bietet eine kurze Wahlkampfzusammenfassung, bei der auch ein Besuch des Kärntner Landeshauptmanns nicht fehlt. Dem Kommunisten Kaltenegger kommt er hingegen nicht besonders nahe. Politische Grundsatzdebatten und Biografisches werden ausgespart. Man begnügt sich mit der Oberflächlichkeit des Wahlkampfgeschehens.

Der Reichtum des europäischen Kinos An einen bevorstehenden Wahlkampf in Österreich erinnerte in Linz auch der Besuch von Kunststaatssekretär Franz Morak. Durch Crossing Europe sei die Stadt in den Blickpunkt der nationalen und internationalen Filmbranche gerückt, lobte er. Die Veranstaltung sei ein wesentlicher Beitrag im Dialog von Wirtschaft und Kultur.

In diesem Dialog hatte der Staatssekretär in den vergangenen Jahren in Bezug auf den österreichischen Film seine Schwierigkeiten - etwa bei den Problemen um die Neubesetzung der Diagonale-Führung vor drei Jahren. Crossing Europe ist ein Kind dieser Turbulenzen.

Im dritten Jahr wird das Selbstverständnis des Festivals in Linz immer klarer sichtbar: "Wir versuchen, Tendenzen eines zukünftigen europäischen Kinos aufzuzeigen", sagt Intendantin Christine Dollhofer. Gleichzeitig soll bei Crossing Europe der Reichtum des europäischen Autorenkinos präsentiert werden: "Wir betreiben Lobbying für die Vielfalt."