VN-INTERVIEW: Museumsdirektor Bernhard Purin über Jüdisches Leben in Deutschland
Antisemitismus im Verborgenen
VN: Herr Purin, Sie
sind Leiter des Jüdischen Museums in München, welche Bedeutung messen
Sie der Eröffnung dieser Münchner Hauptsynagoge, die zum Jüdischen
Zentrum zählt, zu? Bernhard Purin:
Erstmals wurde in Deutschland an einem so zentralen Ort in einer Stadt
eine Synagoge gebaut. Die Nachkriegsgemeinden haben ansonsten für
Synagogen versteckte Plätze erhalten. VN: Wie wurde oder wie wird die Errichtung in München wahrgenommen?
Bernhard Purin: Ein
nicht zu unterschätzender Faktor ist, dass es im innerstädtischen
Bereich bislang kaum qualitätsvolle moderne Architektur gibt. VN: Jüdisches Leben in Deutschland nach dem Holocaust war und ist ein besonderes Thema. Wie stellt es sich nun in München dar?
Bernhard Purin: Die
Errichtung der Synagoge dokumentiert sicher eine Veränderung. Zwar gibt
es seit über 20 Jahren, etwa durch Veranstaltungen, eine Öffnung nach
außen. Man hat aber die Jüdische Gemeinde mit rund 10.000 Mitgliedern
in der Öffentlichkeit nicht übermäßig wahrgenommen. VN: Sie haben die
Jüdischen Museen in Fürth und Schnaittach aufgebaut. In München hat es
an sich lange gedauert, bis man sich dieser Art der Vergangenheit
widmete. Waren da Verdrängungsmechanismen wirksam? Bernhard Purin:
Ja. Sich der Vergangenheit zu stellen, verlief in Deutschland in
Wellen. In den 60 er-Jahren nach den Auschwitz- und Eichman-Prozessen
wurden sie deutlich, dann lief 1979 die Holocaust-Serie im Fernsehen,
nach der etwa viele Lokalhistoriker begonnen haben, sich mit der
Vergangenheit zu beschäftigen. Ein zusätzlicher Anstoß kam 50 Jahre
nach der Reichskristallnacht. Es entstand die Idee, in München ein
Jüdisches Museum zu errichten. 1988 wurde ein privates Jüdisches Museum
auf weniger als 30 Quadratmetern eröffnet, das die Notwendigkeit einer
größeren Einrichtung vor Augen führte. VN: Inwieweit ist Antisemitismus in Deutschland für Sie spürbar?
Bernhard Purin: Es
gibt genauso viel Antisemitismus wie in Österreich. Der Unterschied ist
aber, dass er in Deutschland nicht so offen ausgesprochen wird. VN: Ist man in Deutschland in Sachen Vergangenheitsbewältigung einen Schritt weiter als in Österreich?
Bernhard Purin: Es
gibt einen höheren Grad an Political Correctness, was aber nicht heißt,
dass es keine Ressentiments gibt. Sie werden nur verborgener geäußert. VN: Sie haben am
Konzept für das Jüdische Museum in Hohenems, das 1991 eröffnet wurde,
mitgearbeitet. Nun wird die Dauerausstellung grundlegend verändert.
Einverstanden? Bernhard Purin:
Das war höchste Zeit. Ich bin auch jetzt im Beirat und plädiere
grundsätzlich für viel stärker veränderbare Konzepte. Was man jetzt
unter anderem vorhat, nämlich die Villa anders zu interpretieren, auch
als Ort, von dem aus die letzte Hohenemser Jüdin deportiert wurde,
hätte man sich damals noch nicht getraut. VN: Ist es -
bezogen auf Ihre Arbeit - nicht mitunter desillusionierend, wenn
weiterhin Ressentiments gegenüber der jüdischen Bevölkerung
wahrgenommen werden müssen? Bernhard Purin:
Mit der Arbeit im Museum können wir den Antisemitismus nicht
verhindern, aber wir können Strategien entwickeln, wie man den 20
Prozent Antisemiten, die es laut regelmäßig durchgeführter
Untersuchungen gibt, entgegentritt.
Bregenzer Bernhard Purin leitet das Jüdische Museum in München. (Foto: Roggenthin)
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