Experimente mit Zement und dem Computer: die neuesten Werke von Anish Kapoor, ausgestellt in Bilbao.
Bilbao - Wer sehen will, wie sich Anish Kapoor weiterentwickelt hat, muss ins Guggenheim-Museum nach Bilbao reisen. In den vergangenen Monaten hat der in London lebende indischstämmige Künstler in seinem Atelier mit Zement experimentiert. Seine geometrischen Vorstellungen spielte Kapoor in einen Computer ein, der an einen Zementmixer angeschlossen wurde. Heraus kamen dann Objekte, die er zwar liebevoll einzeln als Greyman Cries, Shaman Dies, Billowing Smoke, Beauty Evoked bezeichnete, die der Künstler aber auch augenzwinkernd mit dem Begriff Between Shit and Architecture zusammenfasste.
Diese Arbeiten des wohl prominentesten Vertreters der British Sculpture sind unüblich farblos, lenken die Aufmerksamkeit dafür aber auf die Formen. Dabei ist der Künstler vor allem wegen seiner farbexzessiven Skulpturen und Installationen bekannt.
Im Frühjahr 2009 präsentierte Kapoor im Museum für Angewandte Kunst (Mak) in Wien die Ausstellung Shooting into the Corner. Mit einem Werk aus dieser Serie gibt es ein Wiedersehen in Bilbao, die Fotos im Ausstellungskatalog stammen auch aus der Wiener Schau, der damals herausgegebene Band liegt im Guggenheim zum Kauf aus. In der Ausstellung wird auch darauf verwiesen, dass diese Arbeit bereits in Wien zu sehen war - "die Stadt, in der Freud die Psychoanalyse etabliert hat". Während in Wien zu verfolgen war, wie eine Kanone Geschoße aus rotem Wachs von der Mitte der Ausstellungshalle in die Ecke schleuderte und so eine stetig wachsende Skulptur entstand, wird in Bilbao der künstlerische Entstehungsprozess nur geschildert. Auch My Red Homeland, die für die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz 2003 errichtete 20 Tonnen schwere rote Skulptur aus Vaseline und Wachs, ist in Bilbao präsent.
Seit seinen ersten Skulpturen - einfache, auf dem Boden ausgebreitete Formen mit farbigen Pigmenten - hat Kapoor ein facettenreiches Werk aus verschiedenen Materialien wie Stein, Stahl oder Glas entwickelt. In seinen Objekten, Skulpturen und Installationen verwischen die Grenzen zwischen Malerei und Bildhauerei. Die Schau bietet insgesamt einen guten Überblick über das abstrakt-poetische Werk des Turner-Preisträgers, der in seine Arbeiten religiöse Themen und seine Erfahrungen im west-östlichen Spannungsfeld einfließen lässt. An dieser Einzelausstellung hat er selbst intensiv mitgewirkt, zu sehen sind insgesamt zwanzig Werke aus mehreren Serien, die seit 1969 entstanden sind.
Kapoors Skulpturen lösen Konfrontationen aus. Als aktive Teilnehmer, nicht nur als bloße Betrachter, werden die Ausstellungsbesucher sich ihrer eigenen Position im Raum und der Relativität ihrer eigenen Größe deutlich bewusst. Das gelingt Kapoor am besten in seiner Spiegel-Serie, die durch Verzerrungen Körper- und Raumgrenzen auflösen. Oder in seinem aus dem Jahr 1999 stammenden Objekt Yellow, in dem ein großes gelbes Loch, das beim Betrachter einen unheimlichen Sogeffekt auslöst, in einer Wand verschwindet.
Der 56-jährige Künstler lässt sich nicht in ein Schema pressen. So wird sein nächstes Werk eine 115 Meter hohe begehbare Skulptur sein, die zum Wahrzeichen für die Olympischen Spiele in London 2012 werden soll. Die Pläne für die Konstruktion, die aus ineinander verdrehten Stahlstreben besteht und an eine orientalische Wasserpfeife oder an einen fragilen Turm von Babel erinnert, wurde vergangenes Wochenende in London präsentiert. Eine erneute Metamorphose, die für Kapoor und seine künstlerische Arbeit so typisch ist. (Alexandra Föderl-Schmid/ DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2010)
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