Gar eigenwillige Pflanzen wachsen mitunter im Biotop der
Kunst, bisweilen auch anmutige, in ihrer Schönheit anspruchsvolle.
Schwierig sind sie allemal, fast niemals aber unzugänglich. Daß dieses
Biotop ein Sumpf sei, in den vorzuwagen sich nicht empfiehlt, ist
allerdings ein böses Vorurteil. Das ist bloß eine Frage des Zugangs und
mithin der Vermittlung.
Ein Ausstellungsort, in dessen Konzept die Vermittlung
seit jeher einen hohen Stellenwert einnimmt, ist das Kunsthaus Mürz in
Mürzzuschlag. Mit der dort vor rund zehn Jahren entwickelten Idee des
"Jahresmuseums", dessen vielfältige Möglichkeiten der inzwischen ans
"Museum des Nötscher Kreises" übersiedelte Gründungskurator Otmar Rychlik
über mehrere Jahre hinweg klug demonstriert hat, zeigt man vorbildlich,
daß es viel Sinn macht, auch außerhalb der Zentren zeitgenössische Kunst
auf internationalem Niveau zu zeigen. Jetzt werden Tradition und Anspruch
des Jahresmuseums mit wechselnden Kuratoren fortgeführt.
Fürs diesjährige erst spät im Jahr gestartete
Jahresmuseum zeichnet Georg Kargl, Wiener Galerist und Auktionator,
verantwortlich. Sein "Ausstellungsparcours" mit Kunstwerken der letzten
100 Jahre trägt die Handschrift des Connaisseurs. Thema im inhaltlichen
Sinn gibt es keines, um so mehr aber legt Kargl Fährten, hält an zu
flanieren und läßt den Besucher selbst "Zusammenhänge im Biotop Kunst"
entdecken, auf daß dieser die Eigenheiten von Kunst selbst aufspürt.
Von Hoffmann bis Richter
Assoziation ist das Grundprinzip dieser Schau, in der
große Namen ebenso vertreten sind wie unbekannte. Ein Schrank von Josef
Hoffmann, eine Skizze von Dagobert Peche, eine Schiele-Zeichnung finden
sich da etwa neben Malerei von Robert Smithson und Photographie von Hans
Kupelwieser. Malerei des jungen Herbert Hinteregger wird flankiert von
einer grauen Monochromie Gerhard Richters sowie struktureller Malerei von
Rudolf Stingl und Ull Hohn.
Günter Brus' Aktionsphotos verweisen auf die Konzeptkunst
der verstorbenen Ketty La Rocca, die wiederum überraschende Bezüge zu
Rosemarie Trockel aufweist. Tuschblätter von Raymond Pettibon durchziehen
die Schau leitmotivisch, treten einmal in einen Dialog mit den
Riesenporträts von Chuck Close, dann mit der Bild gewordenen Semiotik
eines Thomas Locher, einem Stuhl von Charles und Ray Eames, bis sich mit
einer Nachbarschaft zu Brus der Kreis zum Aktionismus schließt.
Oder Arnulf Rainer, Übervater der österreichischen
Gegenwartsmalerei: Im Zusammenhang mit der jungen Figuration sind seine
über dreißig Jahre alten "Face-Farces" hochaktuell, das zeigt ein
Arrangement zusammen mit Bildern der jüngeren Malergeneration - eine
psychologisch tiefschürfende Gesichtsstudie von Marlene Dumas, Elizabeth
Peytons melancholisches "Prince Harry"-Bildnis und dazu ein anmutiges
Teenager-Porträt von Muntean/Rosenblum.
Die dritte Dimension ordnet sich konsequent um die
Mittelachse, wo die Bereiche Skulptur, Raum und Architektur verhandelt
werden: eine mit Asphalt bekleckerte und den geologischen Zeitaltern
beschriftete Treppenpyramide von Mark Dion, eine frühe Stele von Willi
Kopf sowie ein x-förmiges "Booktable" von Richard Artschwager
repräsentieren verschiedene skulpturale Ansätze. Eine eigene Nische ist
den "Werkverzeichnissen" vorbehalten: Marcel Duchamps "Boite" stehen das
eigene OEuvre reflektierende Arbeiten von Gerhard Richter und Ines
Lombardi gegenüber.
Die Lehre vom Freiraum
Zu guter Letzt will schließlich das Herzstück der Schau
erobert werden: in einer X- sowie daneben einer U-förmigen Zelle findet
anhand schwarzer Monochromien von Ad Reinhard sowie, noch einmal, Raymond
Pettibon, eine Annäherung an die Leere als geistiger Freiraum statt - ein
meditativer Zugang, der mit einer frühen Ölmalerei Gerwald Rockenschaubs,
einer bunten Neonskulptur von Dan Flavin sowie einer schillernden
Tintenzeichnung von Herbert Hinteregger sogleich seiner Absolutheit
entledigt wird.
"Zusammenhänge im Biotop Kunst" ist eine aufwendige Schau
und zeitintensiv, weil sie einlädt zurückzugehen, nachzuschlagen, zu
vergleichen, zu überprüfen und das eine oder andere Urteil zu revidieren.
Man sollte die Einladung auf den Parcours annehmen. Dann kann einem gewiß
nicht so bald einer ein X für ein U vormachen.
Bis 3. Februar. Do. bis Sa., 10 bis 18, Sonn- und
Feiertage, 10 bis 16 Uhr.
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