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Spoerri: „Selbstverständlich bin ich kein Witzbold!“

24.11.2010 | 18:55 | Von Barbara Petsch (Die Presse)

Ein Feuerwerk aus einem Riesen-Penis war 1970 das Ende der Gruppe "Nouveau Réalisme". Der Schweizer Daniel Spoerri war dabei. Er spricht über seine Kunst-Ikonen, seinen Vater, seine Flucht.

Auf den Spuren von Marcel Duchamp (1887–1968) entwickelte der Schweizer Daniel Spoerri, der im März seinen 80.Geburtstag feierte, seine „Fallen-Bilder“ aus Alltagsgegenständen, vorzugsweise Essensresten. Die Kunst sollte nicht mehr Schönheit abbilden und auch nicht abstrakt sein, sie sollte sich dem Alltag widmen. Das war eine der Ideen der neuen Realisten: „Nouveau Réalisme“, die Ausstellung mit Werken von Christo, Yves Klein, Jean Tinguely, Spoerri und anderen, ist bis 20.Februar 2011 in der Kunsthalle Krems zu sehen.

Die Presse: Manches ist witzig in dieser Ausstellung, manches richtig grausig. Was überwiegt in Ihrer Arbeit? Das Humorvolle oder das Düstere?

Daniel Spoerri: Selbstverständlich bin ich kein Witzbold! Ich drücke aus, was mich beunruhigt, beschäftigt, was mich verzweifelt macht – aber auch zum Lachen bringt. Das ist dann der Galgenhumor. Ich habe z.B. 1961 in Kopenhagen Müll in einen frischen Teig geworfen und gebacken. Heute wirft man das Brot in den Müll. In Wien wird daraus sogar Elektrizität gewonnen. Um sieben am Abend ist das Brot nicht mehr frisch, man mischt es mit Mist, das gibt Gase, und die werden zu Elektrizität verarbeitet.

Spielt Ihre Familiengeschichte in Ihrer Arbeit eine Rolle? Ihr Vater wurde bei einem Pogrom in Rumänien von den Faschisten getötet.

Mein Vater wurde ermordet, als ich elf Jahre alt war. Natürlich hat er mich geprägt, aber eigentlich mehr, weil er sehr streng war. Er war protestantischer Missionar und versuchte, Juden zum Christentum zu bekehren, das ist ihm aber nur ganz selten gelungen. Er war ein toller Mann, der gut sprach und Lichtbilder zeigte, was damals, 1930, erstaunlich war. Nach seiner Ermordung ist meine Familie in die Schweiz geflüchtet.

Ihre Mutter suchte mit sechs Kindern bei ihrem Bruder Schutz. Wie war das für Sie?

Schon in Rumänien lebten wir in einer seltsamen Atmosphäre. In der Schweiz fing die Fremdheit wieder von vorne an. Ich musste eine neue Sprache lernen. Ich war der Idiot der Klasse, der kein Schweizerdeutsch sprach. Ich wusste nicht, was Zürich ist. Ich konnte nicht schwimmen. Zu allem Überfluss hatte ich abstehende Ohren. Die Kinder haben gesagt, auf einem Ohr schläft er, mit dem anderen deckt er sich zu.

Sie haben dann das Tanzen als Ventil entdeckt.

Das Tanzen war das Befriedigendste, was ich je gemacht habe. Man schwitzt sich aus, nachher ist man müde und glücklich. Ich habe in Jazzkellern angefangen zu tanzen. Wenn ich tanzte, hörten die anderen auf zu tanzen und sahen mir zu, weil ich so ein Wirbelwind war. Man hat mir gesagt, ich muss Tänzer werden. So kam ich in die Ballettschule. Das war sehr hart, denn für Ballett muss man den ganzen Körper aufbrechen, und wenn man zu spät damit anfängt, wie das bei mir der Fall war, hat man die Schmerzen sein ganzes Leben.

Sie wechselten zur bildenden Kunst, das war dann die richtige Identität, das Bleibende, oder?

Irgendwann sagt man sich, das ist meins. Ich sah die Objekte an der Wand hängen, man konnte sie nicht mehr benutzen. Sie waren wie Ikonen geworden.

Die Gruppe „Nouveau Réalisme“ war zehn Jahre lose zusammen – und löste sich 1970 mit einem Knalleffekt in einem Mailänder Lokal auf. Davon geblieben ist Ihr Bild „Das letzte Abendmahl“. Wie hat sich das damals abgespielt?

Die Gruppe hat sich nicht wirklich aufgelöst, weil sie ja auch nicht so richtig zusammen war. Aber ich habe vorausgeahnt, was passieren wird – und habe das Essen „Das letzte Abendmahl“ genannt. Es fand in Mailand statt, weil das Bild dort ist. Die ganze Sache wurde sehr chaotisch. Tinguely hat am Dom einen riesengroßen Penis aufgestellt mit zwei Kugeln, die explodierten: ein Feuerwerk, eine Eruption, eine Ejakulation. Der ganze Penis verbrannte. Tinguely hat damit gerechnet, dass die Polizei kommen würde. Die Zeitungen haben die Geschichte totgeschwiegen. Es sollte damals die Scheidung in Italien erlaubt werden – und die Journalisten dachten, wenn jetzt so was passiert, dann geht wieder alles den Bach runter und die Scheidung bleibt verboten. Also erschien nichts. Die Kommunisten haben außerdem vor dem Lokal demonstriert gegen uns, die angeblich reichen Künstler. Die Leute haben sich auf der Straße geprügelt. Wir haben nichts gemerkt, weil wir ja drinnen waren.

Nach allem, was Sie erlebt haben, was glauben Sie, was denken Sie politisch?

Wie man sich verhält, ist meiner Ansicht nach a priori politisch. Parteipolitik interessiert mich nicht. Ich bin kein Kommunist und schon gar kein Rechtsextremer. Ich bin ein sozialer Mensch und glaube, dass jeder ein Recht hat, glücklich zu sein. Dafür würde ich kämpfen. Ich glaube aber nicht an diesen gleichmacherischen Sozialismus. Im Übrigen bin ich Atheist. Wir haben das Bedürfnis zu glauben, weil wir Angst haben. Alle Tiere haben Angst. Auch wir. Weil wir denken können, gaukeln wir uns Geister vor, die uns helfen. Religion wurde zu allen Zeiten missbraucht für Interessen der Mächtigen.

Was wünschen Sie sich?

Ich möchte immer weiter arbeiten und dann abhauen. Schlafen und nicht mehr aufwachen. Ich möchte nicht leiden, nicht merken, dass ich schwächer werde und die Verantwortung für mich nicht mehr übernehmen kann. Bis dahin pflege ich alles, was mit dem Leben zusammenhängt, auch meine Verzweiflung, mein Getriebensein.


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