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Steirischer Herbst: Aber ich will Unglück vermeiden

03.10.2008 | 18:32 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Streifzug durchs Wunderland: Auflösung der Grenzen beim Grazer Festival für neue Kunst.

Wie soll man über Glück und Unglück und dessen Vermeidung in dritter Person schreiben? Unpersönlich, vielleicht auch noch mit dem Schein des Objektiven? Schließlich ist Glück, „in jenem ermäßigten Sinn, in dem es als möglich erkannt wird“, wie Freud das so schön skeptisch gesetzt hat, ein „Problem der individuellen Libidoökonomie“.

Deshalb, diesen 41. „steirischen herbst“ – „ich“. Denn „Herbst“-Intendantin Veronica Kaup-Hasler hat als Leitthema „Strategien zur Unglücksvermeidung“ ausgegeben. Total ironiefrei auf den ersten Blick, auch darin eine Art Gegenentwurf zu Paul Watzlawicks „Anweisungen zum Unglücklichsein“. Also raus aus dem Elend, dem Nachtrauern um die großen Utopien, der zynischen Haltung, dem pragmatischen Realismus – Welt retten, „und sei es im Detail“, beschwor Kaup-Hasler fast mein revolutionäres Potenzial bei ihrer Eröffnungsrede Donnerstag in der List-Halle. „Wir suchen den Ausweg. Und wir suchen nach Handlungsoptionen.“

Dabei hatte ich meine erste Handlungsoption gerade schmählich versäumt: Um in die von den Künstlern Christoph Steinbrener und Rainer Dempf zum „Volksbad Waagner-Biro-Straße“ umgebaute Halle zu kommen, musste man sich nämlich nach Geschlechtern trennen. Im 21.Jahrhundert! No way, dachte ich, wollte zum Männer-Eingang hinein – und ließ mich von einer Ordnerin abweisen. Während Elke Krystufek natürlich unbeirrt durchmarschierte, einfach so. Scheitern. Angeblich auch eine Strategie, um weniger unglücklich zu werden, um das Wort Glück hier nicht überzustrapazieren.

 

Mit der Liane über den Wassergraben

Aber Männlein und Weiblein, ein schwacher Trost, trafen einander sowieso wieder: im Vergnügungsgehege für angestrengte Mitmenschen, die den Intellekt immer schon mal lässig über einem Wassergraben baumeln lassen wollten, während sie wie Tarzan auf der Liane drüberschwingen. Denn: Damit die Männer zu Frauen und Alkohol und die Frauen zu Männern und (selbst gebasteltem) Essen kommen, mussten sie mit Seilen über ein seichtes Bächlein turnen. Wie das Eröffnungspublikum sich dabei lockerte, gegenseitig half und selbst bediente, wie es nass wurde oder elegant blieb, den Raum für sich „eroberte“, wie Kaup-Hasler es sich wünschte, war nett zu beobachten.

Kein überwältigender, aber ein guter Anfang, der schmecken lässt, was sich heuer konsequent durchs Programm des Festivals für neue Kunst zieht. Vom selbstdarstellerischen Eröffnungsabend über die Theaterinstallation von Signa, in die man sich einweisen lassen kann, sowie den Theaterabend mit fünf Schäferhunden, einem Philosophen, einem Psychoanalytiker und einem ehemaligen Legionär bis zu Christoph Schlingensiefs kleiner Filmprojekt-Afrikareise-Freundes-Installation in der Neuen Galerie und Elke Krystufeks zwischen Film, Foto, Malerei, Literatur, Performance und Strukturkritik oszillierender Ausstellung: Ein sich scheinbar wie nebenbei vollziehendes, unerwartetes Auflösen der Grenzen zwischen der darstellenden Kunst und der bildenden Kunst und unserem Leben, ja, das könnte mich weniger unglücklich machen.

„Perspektive wechseln“ führt wohl auch nicht zufällig das Ranking der offiziellen, vom Herbst-Team zusammengestellten „To-Do-List“ der „Strategien der Unglücksvermeidung“ an. 100 derartige Handlungsanweisungen wurden gesammelt und auf der Homepage zur Abstimmung freigegeben. Auf den Perspektivwechsel folgen zurzeit „Lieben“, „Auf die Straße gehen“, „Abdunkeln“, „Träumen“. Da muss ich natürlich mit bei diesem Ordnungsdrang im Chaos, muss auch diese List der Liste für mich verwenden, um das unübersichtlich vor mir liegende, rund 100 Veranstaltungen umfassende „herbst“-Programm auf bewältigbares Schrebergartenformat zu schrumpfen.

 

Elke Krystufek: Offenlegung des Systems

Erstens: „Nein“. Die neue Ausstellung von Neo-Venedig-Biennalistin Elke Krystufek. Erstmals mit eigenem Text im Katalogbuch, erstmals allein in Graz, bei Camera Austria, angeblich „nur“ mit Fotos ihrer Malerei. Klingt nach Resteverwertung eines ausgebrannten Jungstars. Ist aber genau das Gegenteil, zumindest für mich einer der bisher besten Tipps zur Unglücksvermeidung im „herbst“: Statt sich wie viele Künstler vergleichbaren Erfolgs von der Produktion hetzen zu lassen, vom Markt, der ihren Namen so früh und so schnell inhaliert hat, nimmt Krystufek ihr uns am bekanntesten vorkommendes Werk, ihre Malerei, und zeigt an ihr, wie das System funktioniert. Sie legt den Prozess eines Ausstellungsprojekts offen bis aufs konstruktive Innere der Stellwände.

Sie zeigt, wie sie selbst Ordnung in ihre Bilder zu bringen versucht, wie sie die Porträts (von anderen, nicht von ihr selbst) mit dem Zoom am Computer erforscht wie völlig Fremde. In Gruppen geordnet sind Fotos von Augenpaaren und Mündern, von Penissen, Graffiti, Texten und Korrekturanmerkungen. Unvollkommenheit macht Malerei zu Originalen. Was aber sind dann Texte, bei denen ein Lektor alles daran gesetzt hat, die sonst so geliebten Fehler zu vermeiden? Die Befragung eines Systems mit dem eigenen Werk: Was Krystufek 2006 im Großen mit der Sammlung des Wiener MAK tat, konzentriert sie nun zum noch intensiveren Kammerdrama. Das beginnt, wie könnte es anders sein, mit einer Liste, in der Krystufek noch einen Teil des von ihr benutzten wie untersuchten Systems offenlegt: Die „Bilanz“ des Transports ihrer angeforderten Exponate von der Wiener Galerie: „26 zu spät gelieferte Arbeiten/7 nicht gelieferte Arbeiten/8 beschädigt gelieferte Arbeiten/6 unrestaurierbar gelieferte Arbeiten“. Bitter. Aber plakativ. Und solchen Erklärungen und Lösungen sollen wir skeptisch gegenüberstehen, gab uns Kaup-Hasler eröffnend mit.

 

Weltverbesserung? Mit nötiger Ironie!

„Gegenbilder suchen“ steht als Nächstes auf meiner „Herbst“-Liste. Ich weiß, wo ich sie finden soll: „Wie du mir“ heißt heuer die eigentliche Großausstellung des Festivals: Nicht im ersten Haus am Platz, dem Kunsthaus, sondern an zwei kleineren Schauplätzen, die so Aufmerksamkeit bekommen, die sie auch unterm Jahr verdienen würden.

Initiiert vom Afro-Asiatischen Institut hat ein Netzwerk von sieben Organisationen im Straßenlokal vom „Rotor“-Verein und (einmal noch vor ihrer ersatzlosen Schließung) in den Fluchten der Minoriten-Galerien im Priesterseminar eine Gruppenausstellung wie eine emotionale Achterbahnfahrt zusammengestellt: Glück und Unglück liegen knapp nebeneinander. Zugegeben, das Thema „Gegenbilder für transkulturelles Denken und Handeln“ ist eine scharfe Betulichkeitsfalle. Im „Rotor“ gelingt es immerhin, ihr zumeist auszuweichen: Lisl Pongers in Österreich nachgestellte Touristenfoto von kulturellen Stereotypen – der Beduine in Schönbrunn, die Inderin im siebten Wiener Gemeindebezirk – sind der beste Garant für die nötige Ironie, die der Weltverbesserer-Message hier mitgegeben werden muss, um sie erträglich zu machen.

Rundherum so Unterschiedliches wie die täuschend naive Malerei des ghanesischen Grazer Straßenmalers Enks und die Recherchekunst von Igor Grubic, der uns dringend nötige nachbarschaftliche Geschichtsnachhilfe anbietet, angesichts der weitgehend unbeachteten großen Jahrestreffen der Sympathisanten der kroatischen Ustascha-Bewegung im kärntnerischen Bleiburg.

Die Gitarre, die die Künstler Delaine und Damian Le Bas der Erzherzog-Johann-Statue am Grazer Hautplatz verpassen, damit den „Prinz des Volkes“ kurzzeitig zum Straßenmusiker verwandelt haben, leitet über zum Ausstellungsteil im Priesterseminar. In einem Gewölbe zeigt hier eine Videoinstallation fünf Roma-Musiker spielen, ein Stück Weltmusik an ihren jeweiligen Lieblingsorten in ihrem türkischen Dorf, das sie jahrelang nicht verlassen durften. Titel: „Quintett ohne Grenzen“. Soviel Anleitung zum Glück ist kaum noch zu ertragen, so simpel wie hier in vielen ausgestellten Arbeiten ein interreligiöser und -kultureller Multikulti-Dialog vorgezeigt wird, kann er angesichts der politischen Entwicklung und der dahintersteckenden komplexen gesellschaftlichen Probleme nicht mehr glücklich machen.

 

Vordringen ins Auge der Explosion

Aber ich will Unglück vermeiden. Und freue mich also schnell über die ambivalente Botschaft einer Kuckucksuhr, Inbegriff des Spießertums, aus der (nach abendländischem Stundentakt) ein Muezzin schreit.

Nächster Punkt auf meiner Liste: Ins Auge der Explosion vordringen. Die Künstlerarchitekten von Raumlaborberlin machen es möglich: Sie haben vor das neue Festivalzentrum im zur Renovierung leer stehenden Joanneum-Hauptgebäude eine Art aggressive Geburtstagskerze gestellt: Eine aus Gerümpel gebastelte, quasi in Zeit und Raum und Masse angeklebte Explosion. Sie bezieht sich auf das poetische Endzeitbild des Antonioni-Klassikers Zabriskie Point um Mythos und Zerfall eines Wunderlandes vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung. 1968 wurde auch der „steirische herbst“ gegründet. Auch er steht für Mythos und Zerfall. So sehr Wunderland wie heuer hat er uns aber lange nicht mehr versprochen. Das macht schon ziemlich viel weniger unglücklich.


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