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24.10.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
Mehr als nur ein Spiel: Die Seele im Ball
VON THOMAS VIEREGGE
"Rundlederwelten" in BERLIN. Im Martin-Gropius-Bau dreht sich alles um den Fußball - und Franz Beckenbauer.

S
o fern ist das Fieber nicht mehr: Bald schon wird die Kugel an der Spitze des Alexanderturms, als Fußball ver kleidet, weithin vom globalen Großereignis 2006 künden. 228 Tage noch bis zur Eröffnung der Fußball-WM in Deutschland. Und schon jetzt erweist die Kunst dem Sport ihre Reverenz, quasi als Vorspiel, wie Literaten, Intellektuellen und Künstler seit jeher den Sportlern den Lorbeer winden.

Mit einem grünen Filzteppich und gelben Eckfahnen ist der Eingang zum Berliner Martin-Gropius-Bau drapiert. Sie lotsen in die Schau "Rundlederwelten": Herzstück des offiziellen Kulturprogramms zur Fußball-WM, ausgeheckt von André Heller, dem obersten Kultur-Zampano, Mittler zwischen Kunst, Sport und Politik. Nonchalant bringt er die Mächtigen zusammen und geriert sich ein wenig wie ein Pausenclown, wenn er sich - eingerahmt von Gerhard Schröder, Otto Schily und Franz Beckenbauer - für die Fotografen ihnen zu Füßen wirft: ein Poseur. Wortgirlanden perlen aus seinem Mund, beiläufige Kritik am "Feuilleton-Kameradschaftsbund" - und Schmeicheleien: Wenn er doch nur so viel vom Fußball verstünde wie "Kaiser Franz" von der Kunst!

Der hält sich auffällig im Hintergrund und pflegt ohnehin eine ironische Distanz zu dem ganzen Gewese. Auf Andy Warhols Siebdruck, aus der Serie von dessen berühmten Porträts, wirkt Beckenbauer ähnlich abwesend. Seinen Zenit hatte die Lichtgestalt des deutschen Fußballs bereits hinter sich, als er 1977 im Star-Ensemble der "New York Cosmos" an der Seite von Pele lief und von Warhol zum Popstar proklamiert wurde. 1974 hatte er seine Mannschaft zum WM-Titel geführt. 31 Jahre später hat Volker Schrank die Weltmeister von damals als Fußball-Pensionisten noch einmal in ihren Trikots abgelichtet: Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller, Uli Hoeneß & Co., aus ihren Porträts spricht die Vergänglichkeit. Als Holzschnitzfiguren in Werner Büttners "Bubenstück" bleiben sie jedoch Sieger. 1966 war Beckenbauer übrigens auch schon dabei, in der WM-Elf, die sich im Finale gegen England im Londoner Wembley-Stadion um den Sieg gebracht wähnte. Ein Spiel, das immer noch um die Frage kreist: War er drin oder nicht? Das Runde, es muss ins Eckige. Markus Lüpertz, von Schröder hoch geschätzter Malerfürst, hat das Objekt des Anstoßes im selben Jahr wuchtig auf Leinwand geworfen: den schlammfarbenen Ball mit Ledernaht, mithin ein Symbol des Wirtschaftswunders.

Um den Ball und das Personal dreht sich alles in "Rundlederwelten". Es liegt in der Natur der Sache, dass es sich dabei meist um eine spielerische, ironisch gebrochene Annäherung handelt. Wie bei Erwin Wurm, der den Ball zur Orange verfremdet und für den Beckenbauer als "Ein-Minuten-Skulptur" den Kopf hinhält. Der Vorarlberger Künstler Tone Fink lässt zwei Bälle, die er mit den Namen zweier Kicker des österreichischen "Wunderteams" - Uridil und Sindelar -, versehen hat, durch die Schauräume kullern, aus denen die Schlachtgesänge diverser Video-Installationen wabern. Jürgen Teller, Szene-Fotograf, inszeniert sich nackt, mit Bier und Zigarette, auf einem Fußball stehend am Grab seines Vaters oder als Zuseher beim WM-Finale 2002. Die britische Schauspielerin Charlotte Rampling stellt er in Alltagskleidung ins Tor.

Ingeborg Lüscher spinnt den Gedanken weiter und lässt zwei Teams im Business-Anzug gegeneinander antreten. Der Schweizer Massimo Furlan genügt sich selbst: Er stellt das WM-Finale von 1982, Italien gegen Deutschland, auf dem Fußballfeld nach - allein. Zusammengesetzt aus einem Panzer schwarzer Lederzungen hat der Brite Satch Hoyt die Skulptur eines Kickers in voller Aktion ("Penalty") geschaffen. Bei Federico Arnaud bevölkern Heiligenfiguren das Tischfußball-Set, das Tor hütet der Gekreuzigte.

Archaisch, profan, kaum ein Aspekt des Spiels bleibt ausgespart: der Torjubel, der Leiberltausch, die Leiden des Trainers auf der Bank, die Kabine, das Strammstehen und Absingen der Hymne - bis zu den Schallplatten singender Fußballer, darunter Beckenbauers "1:0 für die Liebe". Für die, die es nicht mehr erwarten können, hat Michael Staab ein Spieltableau der WM 2006 erstellt, in dem er im Finale Deutschland auf Argentinien treffen lässt und das - unter Zutun Gerhard Schröders - mit 3:2 endet. Freilich: Zuletzt mussten nicht nur Jürgen Klinsmanns Mannen, sondern auch die Vorstandsvorsitzenden des "FC Deutschland 06", Schröder und Schily, erfahren, dass das Wünschen nicht immer hilft. Wir Österreicher wissen das seit Peter Handke. An dieser Weisheit zumindest hätte Heller die Gastgeber teilhaben lassen können . . .

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