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24.10.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung | ||
Mehr als nur ein Spiel: Die Seele im Ball | ||
VON THOMAS VIEREGGE | ||
"Rundlederwelten" in BERLIN. Im Martin-Gropius-Bau dreht sich alles um den Fußball - und Franz Beckenbauer. | ||
S Mit einem grünen Filzteppich und gelben Eckfahnen ist der
Eingang zum Berliner Martin-Gropius-Bau drapiert. Sie lotsen in die Schau
"Rundlederwelten": Herzstück des offiziellen Kulturprogramms zur
Fußball-WM, ausgeheckt von André Heller, dem obersten Kultur-Zampano,
Mittler zwischen Kunst, Sport und Politik. Nonchalant bringt er die
Mächtigen zusammen und geriert sich ein wenig wie ein Pausenclown, wenn er
sich - eingerahmt von Gerhard Schröder, Otto Schily und Franz Beckenbauer
- für die Fotografen ihnen zu Füßen wirft: ein Poseur. Wortgirlanden
perlen aus seinem Mund, beiläufige Kritik am
"Feuilleton-Kameradschaftsbund" - und Schmeicheleien: Wenn er doch nur so
viel vom Fußball verstünde wie "Kaiser Franz" von der Kunst! Der hält sich auffällig im Hintergrund und pflegt ohnehin
eine ironische Distanz zu dem ganzen Gewese. Auf Andy Warhols Siebdruck,
aus der Serie von dessen berühmten Porträts, wirkt Beckenbauer ähnlich
abwesend. Seinen Zenit hatte die Lichtgestalt des deutschen Fußballs
bereits hinter sich, als er 1977 im Star-Ensemble der "New York Cosmos" an
der Seite von Pele lief und von Warhol zum Popstar proklamiert wurde. 1974
hatte er seine Mannschaft zum WM-Titel geführt. 31 Jahre später hat Volker
Schrank die Weltmeister von damals als Fußball-Pensionisten noch einmal in
ihren Trikots abgelichtet: Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller, Uli
Hoeneß & Co., aus ihren Porträts spricht die Vergänglichkeit. Als
Holzschnitzfiguren in Werner Büttners "Bubenstück" bleiben sie jedoch
Sieger. 1966 war Beckenbauer übrigens auch schon dabei, in der WM-Elf, die
sich im Finale gegen England im Londoner Wembley-Stadion um den Sieg
gebracht wähnte. Ein Spiel, das immer noch um die Frage kreist: War er
drin oder nicht? Das Runde, es muss ins Eckige. Markus Lüpertz, von
Schröder hoch geschätzter Malerfürst, hat das Objekt des Anstoßes im
selben Jahr wuchtig auf Leinwand geworfen: den schlammfarbenen Ball mit
Ledernaht, mithin ein Symbol des Wirtschaftswunders. Um den Ball und das Personal dreht sich alles in
"Rundlederwelten". Es liegt in der Natur der Sache, dass es sich dabei
meist um eine spielerische, ironisch gebrochene Annäherung handelt. Wie
bei Erwin Wurm, der den Ball zur Orange verfremdet und für den Beckenbauer
als "Ein-Minuten-Skulptur" den Kopf hinhält. Der Vorarlberger Künstler
Tone Fink lässt zwei Bälle, die er mit den Namen zweier Kicker des
österreichischen "Wunderteams" - Uridil und Sindelar -, versehen hat,
durch die Schauräume kullern, aus denen die Schlachtgesänge diverser
Video-Installationen wabern. Jürgen Teller, Szene-Fotograf, inszeniert
sich nackt, mit Bier und Zigarette, auf einem Fußball stehend am Grab
seines Vaters oder als Zuseher beim WM-Finale 2002. Die britische
Schauspielerin Charlotte Rampling stellt er in Alltagskleidung ins Tor.
Ingeborg Lüscher spinnt den Gedanken weiter und lässt
zwei Teams im Business-Anzug gegeneinander antreten. Der Schweizer Massimo
Furlan genügt sich selbst: Er stellt das WM-Finale von 1982, Italien gegen
Deutschland, auf dem Fußballfeld nach - allein. Zusammengesetzt aus einem
Panzer schwarzer Lederzungen hat der Brite Satch Hoyt die Skulptur eines
Kickers in voller Aktion ("Penalty") geschaffen. Bei Federico Arnaud
bevölkern Heiligenfiguren das Tischfußball-Set, das Tor hütet der
Gekreuzigte. Archaisch, profan, kaum ein Aspekt des Spiels bleibt
ausgespart: der Torjubel, der Leiberltausch, die Leiden des Trainers auf
der Bank, die Kabine, das Strammstehen und Absingen der Hymne - bis zu den
Schallplatten singender Fußballer, darunter Beckenbauers "1:0 für die
Liebe". Für die, die es nicht mehr erwarten können, hat Michael Staab ein
Spieltableau der WM 2006 erstellt, in dem er im Finale Deutschland auf
Argentinien treffen lässt und das - unter Zutun Gerhard Schröders - mit
3:2 endet. Freilich: Zuletzt mussten nicht nur Jürgen Klinsmanns Mannen,
sondern auch die Vorstandsvorsitzenden des "FC Deutschland 06", Schröder
und Schily, erfahren, dass das Wünschen nicht immer hilft. Wir
Österreicher wissen das seit Peter Handke. An dieser Weisheit zumindest
hätte Heller die Gastgeber teilhaben lassen können . . .
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