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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | ars electronica 
23. August 2006
19:29 MESZ
Foto: DER STANDARD
Dennis Russell Davies wurde in Ohio geboren und studierte Klavier und Dirigieren an der New Yorker Julliard School. Seit 1980 lebt er in Europa, zuerst in Stuttgart (GMD am Staatstheater) und Bonn (Oper); von 1997 bis 2002 war er Chefdirigent des RSO Wien, ebenfalls seit 1997 hat er eine Professur am Mozarteum. Seit 2002 leitet DRD das Brucknerorchester und ist Opernchef am Landestheater Linz. (red)

Visualisierte Hör-Räume
Im Interview: Dennis Russell Davies leitet "Some Sounds and Some Fury" sowie Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps"

Dennis Russell Davies ist maßgeblich an zwei Multimedia-Projekten der Ars Electronica 06 beteiligt. DER STANDARD sprach mit ihm über Intentionen, Grenzen, Risken beim Zusammenwirken verschiedener Medien.


Linz - Zwei Projekte im Rahmen der Ars Electronica bzw. des Brucknerfestes loten die Kommunikationsfähigkeiten zwischen Hören und Sehen aus: zum einen Some Sounds and Some Fury, die lange Konzertnacht der Ars an drei Spielstätten, zum anderen Igor Strawinskys Le Sacre du Printemps als visualisierte Klangwolke - eine Weiterentwicklung der Aufsehen erregenden Visualisierung von Rheingold 2004.

In beiden Fällen ist Dennis Russell Davies bei Programmierung und Durchführung eine Schlüsselperson. DRD, wie er mittlerweile respekt- und liebevoll genannt wird, wurde in Toledo/Ohio geboren und studierte Klavier und Dirigieren an der berühmten New Yorker Julliard School. Seit 1980 lebt er in Europa, zuerst in Stuttgart (GMD am Staatstheater) und Bonn (Oper, Beethovenfest, Orchester); von 1997 bis 2002 war er Chefdirigent des RSO Wien, ebenfalls seit 1997 hat er eine Professur am Mozarteum Salzburg. Seit 2002 leitet DRD das Brucknerorchester und ist Opernchef am Landestheater Linz. Sein breit gefächertes Repertoire und seine enge Zusammenarbeit mit vielen großen zeitgenössischen Komponisten machen ihn zu einem der gefragtesten Dirigenten der Gegenwart.


STANDARD: Der legendäre Brucknerdirigent Eugen Jochum hat Linz in den Achtzigerjahren empört den Rücken gekehrt, weil die Erfindung der Klangwolke, die Live-Übertragung eines Konzertes in den Donaupark einer Entweihung des lokalen Genius gleichkäme. Können Sie das verstehen?

Davies: Nein, überhaupt nicht! Schließlich versuchen wir doch immer wieder, neue Publikumsschichten zu guter Musik zu bringen. Was sollte daran schlecht sein? Er wusste offensichtlich auch nicht, dass bei der klassischen Klangwolke keine Bierzeltstimmung vor dem Brucknerhaus herrscht, sondern dass konzentriert zugehört wird.

STANDARD: Viele Musiker stehen einer Visualisierung von klassischer Musik eher skeptisch gegenüber. Gibt es für Sie ästhetische, technische oder andere Grenzen, an denen Sie sagen, so geht es nicht, da steige ich aus?

Davies: Das Orchester muss gut sitzen können! Na ja, Lichtverhältnisse und Akustik dürfen nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

STANDARD: Und inhaltlich?

Davies: Wagners Ring oder Strawinskys Le Sacre, das sind Theaterstücke. Da habe ich überhaupt kein Problem mit einer Kooperation mit einem Medienkünstler oder einem bildenden Künstler, wenn die Qualität stimmt. Bei der Matthäuspassion von Bach verhält es sich anders. Da wird zwar auch eine Geschichte erzählt, aber der religiöse Kontext sollte berücksichtigt werden. Und reine Konzertmusik muss auch nicht unbedingt mit einem anderen Medium kombiniert werden. Bei Mahler brauche ich keine Visualisierung. Es gibt doch, umgekehrt, genug gute Tanzmusik - warum sollte man nicht das Repertoire erweitern und da was probieren?

STANDARD: Nun werden bei "Some Sounds and Some Fury" doch auch "Konzertmusiken" und Visuals zusammengespannt?

Davies: Bei der Ars Electronica ist das was anderes. Das Publikum kommt nicht so sehr wegen der Musik dahin, sondern wegen des Gesamtereignisses, es ist neugierig. Das ist wunderbar und eröffnet Chancen, ein neues, vorwiegend junges Publikum zur Musik, insbesondere zur neuen, zeitgenössischen Musik zu führen. Wir haben beim Programmieren sehr gut überlegt, was wir bringen und wen wir zusammentun.

STANDARD: Gibt es persönliche Beziehungen zwischen Ihnen und den eingeladenen Komponisten?

Davies: Ja. Von Philippe Manoury etwa habe ich in Paris die Oper K (nach Kafkas Josef K.) uraufgeführt. Da lernte ich ihn kennen. Das Stück, das in Linz zu hören sein wird und das der langen Konzertnacht den Titel Some Sounds and Some Fury verlieh, hob Pierre Boulez in Chicago aus der Taufe. Ich habe es mit dem RSO Wien auch schon gemacht. Von beiden gibt es Aufnahmen. Wir haben sie nebeneinander gestellt - sehr spannend!

STANDARD: Auch John Cage haben Sie ja gut gekannt ...

Davies: ... seit den 60er-Jahren. Er hat sogar ein Gedicht über mich geschrieben. Ich habe einige Stücke von ihm uraufgeführt. Das Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra stammt aus 1951, da sind noch wenig Zufallsprinzipien drinnen. Selbst in diesem frühen Stück ist die Synchronität der Musik mit den Visuals schwierig herzustellen. Live kann man ja nie dasselbe Zeitmaß halten. Wir werden also Musik und Visuals dort, wo es möglich ist, auch hintereinander machen, damit ich den Jorn Ebner, der die Visuals generiert, ein bisschen mitdirigieren kann.

STANDARD: Und Amirkhanian?

Davies: Das Stück von Charles Amirkhanian ist unglaublich. Er verwendet die Originalstimme von Morton Feldman als Material für seine Hommage an diesen großartigen Komponisten. Feldman spricht über seine Musik, aber auch über andere. Zum Beispiel sagt er: "Stockhausen ist sicher genauso gut wie Meyerbeer" - ist das nicht ungeheuer frech? Und all das sagt er in seinem starken Brooklyn-Akzent. Einmalig! (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.8.2006)


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