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vom 19.02.2007 - Seite 010
Ist es egal, wo die Adele hängt?

"Ade Adele! Wer schützt unser kulturelles Erbe?", die erste Ausgabe der neuen Reihe "StreitKULTUR" der OÖN und der OÖ. Landesmuseen, entwickelte sich am Freitagabend in der Landesgalerie Linz zu einer spannenden Diskussion.

VON BERNHARD LICHTENBERGER

Wie konnte es dazu kommen, dass Österreich mit dem Klimt-Bildnis "Goldene Adele" einen Teil seiner Identität verloren hat? Was ist daraus zu lernen? Wer hat sich um unser kulturelles Erbe zu kümmern?

Für Peter Assmann, Direktor der OÖ. Landesmuseen ist es "nicht egal, ob die Adele quasi für alle erreichbar in New York hängt oder im Belvedere", denn "eine Gemeinschaft orientiert sich immer an den Werken".

Im Gegensatz dazu hält es Thomas Mark, Betreiber der Galerie "art.mark" in Spital am Pyhrn, "für keine große Katastrophe, wenn dieses Bild in New York öffentlich zugänglich ist und damit viele Leute auf Österreich aufmerksam gemacht werden".

Bundeswirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, der über einen privaten Sponsor versucht hatte, eines der fünf restituierten Klimt-Bilder "Häuser in Unterach" für das Land zu bewahren, entscheidet sich im Zweifelsfall für die patriotische Variante, da es auch "um ein Signal der Wertschätzung dem geistig-kulturellen Schaffen unserer Vorfahren gegenüber geht". Aber auch eine Ausstellung in New York sei nicht als Unglücksfall einzustufen.

Was die Pflege und Wertschätzung der Vergangenheit betriftt, "so geht das weit über Klimt hinaus", sagt Leitl: "Schauen Sie sich nur an, wie leichtfertig Ortsbilder zerstört werden, die unwiederbringlich sind." Im Umgang mit dem kulturellen Erbe sei die Weiterentwicklung in Richtung Zukunftskultur ebenso wichtig. "Das ist uns vor 25 Jahren mit der Ars Electronica ganz gut gelungen, aber in der Zwischenzeit leben wir auch hier von der Substanz und haben eine Pflege der Vergangenheitskultur. Die Zukunftsaspekte fehlen mir."

Provinzielle Theater-Posse

Und weil man aus nicht genützten Chancen lernen sollte, sprach Leitl an, dass er noch immer darunter leide, "dass uns das Theater im Berg nicht gelungen ist, weil es politisch in einer provinziellen Posse verstümpert und verschlampt worden ist. Wir hätten dieses Theater im Berg bis zum Kulturhauptstadt-Jahr 2009 haben können, zu einem Preis, der wesentlich niedriger ist als der, den wir jetzt bezahlen müssen - für ein Projekt, das im internationalen Vergleich niemanden von den Sesseln reißen wird."

Für Landeskonservator Lipp ist beim Kümmern um das kulturelle Erbe primär die Politik gefordert. "Man könnte auch uns alle als Verantwortliche apostrophieren, denn die Politik ist auch ein Spiegel der Denkweise und der Willensbildung der Bevölkerung. Da stelle ich große Defizite fest, was das Engagement, das Bildungsniveau, die Einstellung der Bevölkerung zum Kulturgut betrifft."

Auch Peter Assmann spürt diesbezüglich eine "Art von Lähmung: Auf der einen Seite keine wirkliche Bezugswelt zur Vergangenheit, auf der anderen auch keine wahre Vision, was die Zukunft bringt. Diese Stadt, dieses Bundesland ist in einer ¸Zwischenbewusstseinsphase`."

Jeder Einzelne zuständig

Drei Institutionen müssten laut Galerist Mark unser kulturelles Erbe schützen. Die Politik, die die Rahmenbedingungen festlegt und für die finanziellen Mittel sorgen muss; Bundesdenkmalamt und Museen, die natürlich auch ihre Basisabgeltung haben müssen, um ihren Aufgaben nachzukommen. Und das Individuum: "Es wäre unmöglich, das kulturelle Erbe zu bewahren, wenn sich nicht jeder Einzelne dafür zuständig erklärt und ehrenamtlich - speziell im ländlichen Raum - in Vereinen oder Kultureinrichtungen arbeitet."

Adele und die 7 Fehler

Dass die Klimt-Bilder heute nicht in Österreich hängen, führt Christoph Leitl auf sieben Fehler zurück:

1 Der Umgang mit den Erben. Wenn man die notwendige Sensibilität in der Kommunikation vermissen lässt, dann führt das dazu, dass vorhandener Goodwill nicht ausgeschöpft wird, sondern sich in das Gegenteil verkehrt.

2Wenn man sich allzusehr auf selbst geschaffene Gesetze und damit auf rechtliche Voraussetzungen verlässt, die im entscheidenden Moment nicht gehalten haben.

3Nach dem Fällen des Urteils ist man nicht flexibel gewesen, sondern stur geblieben. Man hat vorhandene Brücken, die noch immer da gewesen wären, nicht beschritten.

4Vorhandene Interessenten und Sponsoren haben von staatlicher Seite nicht einmal eine Koordination, geschweige denn Unterstützung erhalten.

5Man hat leider, ausgerechnet auch in Oberösterreich, Ressentiments zugelassen, die mich erschreckt haben. Da gab es Ressentiments die jüdische Herkunft der Familien betreffend. Die Stammtische waren verheerend.

6Der Marktwert wurde sträflich unterschätzt. Wenn so bedeutende Kunstsachverständige wie Dr. Leopold sagen, die "Häuser in Unterach" sind bestenfalls fünf Millionen Dollar wert und sie erreichen dann über 30 Millionen, dann muss man fragen, wo leben diese Experten und welche Qualifikation haben sie.

7Man hat die Macht des Geldes unterschätzt. Frau Altmann war sicher guten Willens, als sie sagte, es wäre ihr sehr angenehm, wenn zumindest eines der Bilder in Österreich bleiben würde und diese Bilder öffentlich zugänglich wären. Als es daran gegangen ist, das einzufordern - wir hatten einen Sponsor mit 15 Millionen Dollar an der Hand - hat man sich doch für eine Versteigerung entschieden und das Doppelte erlöst.

Erste "StreitKULTUR" in der Landesgalerie (v. l.): Lipp, Leitl, Lichtenberger (OÖN), Assmann, Mark Fotos: Volker Weihbold

=Wir haben ein gespaltenes Bewusstsein. Wir Österreicher sind unheimlich stolz, dass wir d i e Kulturnation sind. Aber wenn es darum geht, etwas zu investieren, werden wir knausrig, dann fangen wir an umzurechnen, wieviele Sozialfälle wir damit dotieren könnten. Komisch: Wenn eine Sporthalle gebaut wird, erfolgt eine solche Division nicht.}

CHRISTOPH LEITL

Präsident Bundeswirtschaftskammer

Die Goldene Adele Foto: APA

=Auf dem Sektor des architektonischen Kulturerbes wäre sehr viel erreicht, wenn es einen Investitionsanreiz durch eine Steuerbegünstigung geben würde, die in der Höhe des Mehrwertsteuersatzes liegen müsste.}

WILFRIED LIPP

Landeskonservator

=Was mir Sorgen macht, ist das fehlende Bewusstsein, dass es Objekte, Konstellationen der Architektur, einfache Zeichen im Raum gibt, die die Gemeinschaft formen und die auch von dieser Gemeinschaft in einer umfassenden Bewegung erhalten werden müssen.}

PETER ASSMANN

Direktor OÖ. Landesmuseen

=Es wäre unmöglich, das kulturelle Erbe zu bewahren, wenn sich nicht jeder Einzelne dafür zuständig erklärt. Und ich möchte eine Lanze für das kulturelle Erbe der Zukunft, für die zeitgenössische Kunst brechen.}

THOMAS MARK

Galerieleiter


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