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"Ich sehe mich nicht als Künstler, sondern als zeichnender Journalist"

18.03.2008 | 12:43 | VON NORBERT MAYER (Die Presse)

Interview mit Gustav Peichl zum 80. Geburtstag. Der Karikaturist über Kreisky in Venedig, seine größten Erfolge in der Architektur und warum der britische Prinz Charles mit seiner Kritik an der Postmoderne sogar Recht hat.

Die Presse: Herr Professor, warum ist der Berufsstand des Architekten so verhasst?

Gustav Peichl: Ich kann dem nicht widersprechen, weil es ja wahr ist. Warum ist das so? Weil die Leute von Architektur von Anfang an betroffen sind. In der Rangordnung der Künste steht sie bei Egon Friedell an erster Stelle, noch vor der Musik. Das Elternhaus, der Kindergarten, die Schule _ schon als kleiner Jüngel ist man umgeben von Architektur. Und alle glauben, von ihr etwas zu verstehen. Es gibt überall so viele Besserwisser. Das erzeugt die Spannung zwischen den Architekten und dem Rest der Welt. Ob es Hass ist, weiß ich nicht. Der Architektenberuf ist aber der universellste.


Die Bauherren sehen den Architekten vielleicht als Erfüllungsgehilfen und sind dann von ihren eigenen Träumen enttäuscht.

Peichl: Der wäre ein schlechter Architekt, der sich als Erfüllungsgehilfe sieht. Das gibt es natürlich. Und Wohnhäuser für andere Menschen zu bauen ist überhaupt ein ganz eigenes Thema. Ich habe nie eines gemacht, ich will meine Individualität niemandem aufzwingen. Mein eigenes Haus habe ich gebaut, das ist inzwischen ein Klassiker. Es ist wegen des Grundes nur fünf Meter breit. Das war eine Herausforderung.


Sind Sie damit zufrieden?

Peichl: Ich schon, meine Frau nicht so ganz. Es ist klein und bescheiden. In den Sechzigerjahren waren die Badezimmer und Küchen nicht so luxuriös wie heute. Ich habe auch sparen müssen, weil ich kein Geld hatte. Hätte ich viel Geld und ein großes Grundstück gehabt, hätte ich sicher ein scheußliches Haus gebaut. Aber die Art, wie sich mein kleines Haus in Grinzing nun auf diesem Hang auf einem alten Weinberg präsentiert, ist auch heute noch wunderbar. Es wird von allen gelobt, ist in allen Führern drinnen, zu meinem Leidwesen auch in japanischen. Die japanischen Touristen und Architekturstudenten läuten an und kichern "Peichl, Peichl, Peichl" und wollen das Haus von innen sehen. Ich mag das nicht, aber meine Frau liebt das.


Haben sich Freunde dennoch ein Haus von Ihnen gewünscht?

Peichl: (Der frühere ORF-Generalintendant) Gerd Bacher hat sich in Wien ein Haus gebaut und ist zuvor als Erstes zu mir gekommen, damit ich es plane. Ich habe das nicht gemacht, denn er ist ein Freund von mir. Ich habe ihm auch gesagt, warum; nachher wären wir sicher keine Freunde mehr gewesen.


Was ist für Sie das Bleibende der letzten Generationen des Bauens? Die Sechzigerjahre scheinen ihren Schrecken inzwischen langsam wieder zu verlieren.

Peichl: In den Sechzigerjahren wurde nicht sehr viel gebaut, vieles davon war bloß Schaffung von Grundrissen und Quadratmetern. Es gab aber auch viel Qualität. Mein erstes öffentliches Gebäude war damals die Schule in der Krim (1961-_64), dafür habe ich sofort den Preis der Stadt Wien und alles Mögliche bekommen. Heute wird in Wien sehr viel gebaut, das ist eine neue Gründerzeit, dank des Stadtrats Rudolf Schicker. Der ist mutig, zum Beispiel mit dem Bahnhofsprojekt, mit Aspern. Da können sich nun die sehr vielen guten Jungarchitekten beweisen. Sehr viele. Als ich studierte, waren wir im Vergleich ganz wenige.


Wie bewerten Sie die Postmoderne?

Peichl: Als die Postmoderne am Ende des vorigen Jahrhunderts aufkam, sagte ich, das seien keine Architekten, sondern Schaufenstergestalter. Das Dekorative wurde aber von den sogenannten Architektur-Journalisten hochgelobt. Die sind ein Problem. Es handelt sich entweder um Studienabbrecher oder Architekten, die nix bauen. Die Gründe dafür mögen individuell sein - Talentlosigkeit, Faulheit, ich will das offenlassen. Die Architektur-Kritiker von heute finde ich zum Lachen. Die großen wie den Friedrich Achleitner gibt es nicht mehr.


Dann müssten Sie sich eigentlich gut mit Prinz Charles verstehen. Der britische Thronfolger verachtet die Postmoderne und will, scheint's, ins 18. Jahrhundert zurück.

Peichl: Er hat Recht gehabt mit seiner Kritik an den Auswüchsen der Architektur. Nur hat er überzogen und verallgemeinert. Die Mode ist in diesem Gebiet das Gefährlichste überhaupt. Wenn die Architektur-Kritiker fordern, man müsse für morgen bauen, ist das ein Blödsinn. Denn übermorgen ist morgen schon wieder von gestern.


Dann muss man wohl einer seriösen Schule angehören. Wohin gehören Sie?

Peichl: Schule würde ich es nicht nennen, nachdem auch die Kunstakademie Universität geworden ist. Heute ist eben alles anders; man zeichnet nicht mehr, das ist bereits verpönt. Stattdessen gibt es die Mausklicks. Der Computer mag als Hilfsmittel sehr gut sein, aber er ist nicht kreativ. Der Architektenberuf ist einer der kreativsten.


Wie wurde die Kreativität bei Ihnen geweckt? Ich nehme an, Sie haben sehr früh als Kind mit dem Kritzeln begonnen, und daraus hat sich Ihr Beruf entwickelt. Kommen Sie aus einer künstlerischen Familie?

Peichl: Das Problem bei Kindern ist folgendes. Anfangs sind sie wunderbar kreativ, dann kommen sie in die Schule, und die Lehrer erziehen sie ganz komisch und schreiben ihnen vor, wie sie etwas tun. Ich habe immer gerne und viel gezeichnet. Mein Vater war Goldschmied, von ihm, sagte man, habe ich sehr viel. In der Oberschule für Jungen hat meine ehrgeizige Mutter gemeint, der Bub sollte Baumeister werden. Ich kam nach Mödling in die Gewerbeschule. Da habe ich mit viel Interesse weitergezeichnet. Mathematik und Statik habe ich nie gemocht, das war für mich nichts. Nach der Matura in Linz bin ich zu Clemens Holzmeister an die Akademie der bildenden Künste in Wien gekommen. Da habe ich erfahren, was man mit Architektur bewirken kann. Holzmeister war ein ganz großer. Vor kurzem stand im "Falter" über ihn "der austrofaschistische Architekt". Was für ein Unsinn! Holzmeister hat uns Haltung beigebracht. Er hat mit uns Studenten viel gestritten, aber er hat uns nie zu Holzmeistern gemacht: Hollein, Holzbauer, Peichl - wir sind grundverschieden. Als Professor an der Akademie habe ich es später auch so gemacht. Es gibt heute sehr erfolgreiche Peichl-Schüler, aber keine kleinen Peichl. Die Haltung ist das Wichtigste bei den Architekten. So wird man was.


Auf welche Arbeiten sind Sie am stolzesten?

Peichl: Das sind schon die sechs Landesstudios des ORF, das bedeutete für mich den internationalen Durchbruch.


Damals herrschte Gerd Bacher im ORF. Wie weit hat er die Planung beeinflusst?

Peichl: Er hatte genaue Vorstellungen von der Funktion und wollte Qualität in der Architektur, aber mir wurde völlig freie Hand gelassen, sonst wäre es nie so geworden. Heute noch ist das Konzept gültig. Die Linzer haben bei der Bauverhandlung Probleme gemacht. Bacher war dabei und sagte: "Ich sag' euch was, wenn ihr das nicht wollt, dann bauen wir halt nicht." So war er eben. Er ist voll dahinter gestanden. Dann habe ich 1975 den Reynolds-Memorial-Award gekriegt, das war damals sozusagen der Nobelpreis der Architektur. Mein Ruf war gefestigt, und der Bacher war stolz.


Aus dem ORF-Zentrum Ihres Lehrers Roland Rainer auf dem Küniglberg wollen einige Manager ausziehen, weil es angeblich nicht mehr für den heutigen Betrieb geeignet sei.

Peichl: Es gibt nur einen, der das machte, Unternehmenssprecher Pius Strobl. Der Plan war: abreißen, umwidmen, hohe Häuser bauen und verkaufen - das ist aber vorbei. Man hat nachgewiesen, dass der Umzug nicht notwendig sei.


Die Architektur ist Ihr Beruf. Daneben aber gibt es auch die Karikatur. Da schaut man vor allem auf die Politik. Derzeit ist diese für den gewöhnlichen Beobachter fast ungenießbar. Wie wirkt die Regierung heute auf Sie? Ist es schwer, bei einer solchen Großen Koalition Karikaturist zu sein?

Peichl: Es ist überhaupt nicht schwer, denn ich bin ein Voyeur. Ich kann das, was ich schrecklich finde, mit Ironie und Humor aufzeichnen, nicht mit Bösartigkeit, das will ich nicht. Ein Problem aber haben wir Karikaturisten heute wirklich; dass die Realität die Karikatur übertrifft. Wenn ich mir den Peter Pilz zum Beispiel anschaue, den manche so schätzen. Ich sage: fürchterlich! Aber das ist nur ein Name, es gibt viele andere.


Beginnen wir also mit dem Bundeskanzler Alfred Gusenbauer von der SPÖ. Ist er für den Karikaturisten zufriedenstellend oder nur der siamesische Zwilling zu Wilhelm Molterer?

Peichl: Der Gusenbauer, den ich eigentlich schätze, wenn ich ihn privat sehe, ist sehr gebildet und informiert, schnell und humorvoll. Mit ihm zu sitzen ist großartig. Wenn er aber Politik macht, ist das schlecht, falsch. Niemand weiß, warum das so ist. Als ich ihn unlängst getroffen habe, haben wir natürlich über Karikaturen gesprochen. "Hast du was für mich?", habe ich gefragt. "Jaja", hat er gesagt, "zeichne nur, ich muss mehr Karikaturen zusammenbringen als der Kreisky."


Das ist sein Übervater.

Peichl: Wenn er intelligent genug ist, muss er schauen, was der Kreisky gemacht hat, wie er sich bewegt hat.


In Ihren Zeichnungen sieht Kreisky immer wie der Sieger aus. Er balanciert zum Beispiel als Chef der Minderheitsregierung lächelnd auf einer Rasierklinge und fühlt sich dabei augenscheinlich wohl.

Peichl: Er war auch souverän. Ich habe ihn über alle Maßen geschätzt - sein Wissen, seine Bildung, seinen Mut und seine Schlagfertigkeit. Er war so trickreich. Der hat so gelogen, dass das Gegenteil auch nicht wahr war. Er hat mich oft in der Früh angerufen, war ganz begeistert davon, wie ich seine gewellten Haare gezeichnet habe. Und dann hat er mich beschimpft, dass die Aussage der Karikatur grundfalsch sei. Die Beziehung zwischen uns war großartig, so wie mit (dem früheren "Presse"-Chefredakteur) Otto Schulmeister. Mit dem Bacher hingegen ist Kreisky immer zusammengekracht, aber was dabei herauskam, war gut für beide. Und was für einen Charme der gehabt hat. Die Frauen sind ihm erlegen.


Kreisky war selbst im Burgtheater sehr beliebt.

Peichl: Ich bin oft in Venedig. Einmal spaziere ich dort, kommt mir der Kreisky mit einer Frauensperson entgegen. "Herr Professor", brummte er und hat sich mit mir über alles Mögliche unterhalten. Die Dame hat mitgelacht. Dann haben wir uns verabschiedet, er dreht sich noch einmal um und sagt zu mir: "Bitt' schön, wir haben uns hier nie gesehen." Es hat ja jeder gewusst. Einmal gab es eine Karikade der "Süddeutschen Zeitung", und ich habe ihn gebeten, die Ausstellung zu eröffnen. Selbstverständlich hat er das gemacht. Er hat eine fantastische Ansprache gehalten, über Zeichnung und Architektur. Wir haben ihn danach für seine fundierte Abhandlung gelobt, da hat er gelächelt. Er hat sich auf dem Flug nach München bestens vorbereitet. Das war halt der Kreisky. Die gleiche Bildung, den gleichen Einsatz, die gleiche politische Qualität hat übrigens Wolfgang Schüssel, auch wenn er ganz anders ist. Ich bin mit ihm lange befreundet, da war er noch gar nicht Minister. Dem kann ich immer alles sagen, und er mir. Vor der letzten Wahl hat er zu spät erkannt, dass er im Wahlkampf die Leistungen der Regierung hervorkehren musste. Und er hatte eine Nibelungentreue zu der von mir geschätzten Unterrichtsministerin, die er hätte austauschen müssen. Das hat ihn viel gekostet. Aber über die Liesl Gehrer ließ er nichts kommen.


Welcher Kanzler ist am besten zu zeichnen?

Peichl: Fred Sinowatz, der war unschlagbar. Kreisky hatte dazu den Spruch für mich: "Na, Professor, hab ich euch an Guten g'macht?" Mit Sinowatz war ich oft im Burgenland. Da spürte man viel. Ich schätze ihn über alle Maßen, er war viel besser, als es dargestellt wurde. Er war ungeheuer tolerant. Wir haben zusammen Autogramme gegeben. Eine Zeit lang haben wir uns ganz stark ähnlich geschaut. Im Burgenland haben mich einmal alle Leute freundlich gegrüßt. Das hat mich gefreut. Ich sag' zu meiner Frau: "Schau, die kennen mich alle!" Dann sind wir zu einem Riesenwahlplakat mit dem Kopf von Sinowatz gekommen. Und wir haben gewusst, warum uns alle gegrüßt haben. Eine Zeitung hat sogar einmal ein Interview mit Sinowatz gebracht, und das Bild dazu war von mir. Einmal haben wir uns deswegen bei einem Tag der offenen Tür gegenseitig gezeichnet, vor der Kamera, und haben uns auch Autogramme gegeben. Er Ironimus, ich Sinowatz.


Wer war noch für die Karikatur geeignet?

Peichl: Auch (SPÖ-Chef) Bruno Pittermann und (Bundeskanzler) Julius Raab mit der Knackwurst waren hervorragend zu karikieren. Der hatte auch tolle Sprüche. Er war ungeheuer zynisch. Heute hat ja keiner mehr so ein Niveau, so einen Witz.


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