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Der türkische Geschichtenerzähler

Sich Zeit nehmen. Sich einlassen auf jene Rhythmik, mit der der türkische documenta-Künstler Kutlug Ataman im Kunstmuseum Lentos seinen feinen Beitrag zu Linz09 durchchoreographiert hat. Dann ist Witz ebenso garantiert wie Sentiment. Aha-Erlebnis ebenso wie Selbsterkenntnis.

„Es war einmal....“ – So beginnen die meisten Märchen, die wir kennen.

„Es ist.“ – So beginnen wohl die Geschichten des Kutlug Ataman. Wobei Ataman diese Wirklichkeiten durchaus nicht eins zu eins transportiert. Wie könnte er auch. Liegt ihm doch die phantasievolle erzählerische Pranke der Osmanen unmittelbar in den Genen.

Nur sind es keine Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, die der vielfach prämierte türkische Film/Video-Künstler pflegt, sondern es sind jene aus Tausendundeinen akuten Momenten, die er aneinanderreiht, miteinander verbindet, in Variationen zu Erzählungen verwebt.

„Mesopotamian dramaturgies“ nennt er sein Linz09-Projekt im Lentos. Übersetzt steht es hier als „Mesopotamische Erzählungen“, zu denen unter anderem ein kurioser, weil reiner Schriftfilm über „The Complete Works of William Shakespeare“ zählt. Aus acht dramaturgisch zwingenden, auch für sich allein überzeugenden Einzelteilen hat Ataman durch fünf Räume hindurch eine anregende Gesamtgeschichte choreographiert.

Beginnen kann man diese philosophisch, politisch, ästhetisch und akustisch perfekt aufbereitete Reise ganz einfach: nämlich im Bett liegend. Den Blick nach oben gerichtet. Auf einer über eine Tonne wiegenden Konstruktion aus Plasmaschirmen jene weite Himmelskuppel betrachtend (dieser Beitrag heißt „Dome“), die Ost und West verbindet.

Bauschige Schäfchenwolken ziehen übers Blitzblau – und: junge türkische Männer! An Kranhaken hängend, in westlichen Designerklamotten, typische türkische Gesten zelebrierend, schweben sie über die Liegenden. „Eine Konstruktion von Paradies, inspiriert von den großen Kuppelstrukturen in Rom“, hat Kutlug Ataman bereits am Montag im großen OÖN-Interview erklärt.

Rom gab ihm auch den Impuls zu einer weiteren Arbeit namens „Column“. Die Trajanssäule mit ihren darauf befindlichen Botschaften übersetzt Kutlug Ataman hier in eine Videoskulptur, die er aus 42 Bildschirmen zur mächtigen Säule konstruiert. Auf den Monitoren: schweigende Dorfbewohner Anatoliens. Laut Ataman als Tribut an jene Stämme, die „seit Jahrhunderten durch politische, wirtschaftliche und kulturelle Unterdrückung zum Schweigen verurteilt sind.“

Weitere 09-Facette

Dafür spricht die Frau bei „Pursuit of Happiness“, einem Video-Interview über die Suche nach dem perfekten Ehemann, umso mehr: Sie erzählt in einer erfrischenden Direktheit und Ungezwungenheit von ihren Hochzeitsvorbereitungen, von Heirat, von Defloration, vom Verlassen der Familie, von Lernprozessen. Flugs stellt sie jenes Klischee auf den Kopf, das östliche Frauenbilder großteils auf verschreckte Kopftuchträgerinnen reduziert.

Damit erfüllt sich ein Aspekt, den Ataman im OÖN-Interview als sein Ziel definiert hatte: Den Blick auf die Türkei zu verändern. Die Perspektiven auf ein mögliches neues EU-Mitgliedsland zu erweitern. In der räumlichen Parallelität zur Lentos-Ausstellung „Linz Blick“ ist nun eine weitere Facette von Linz09 erfasst: Migration in der Kulturhauptstadt über bloßes Integrationsgerede hinauszuheben. Die Kunst hat sich so als Möglichkeit gelungener Kommunikation bestätigt.

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