Lieber Make-up oder Harakiri?
Von Claudia Aigner
Man schaut in einen Spiegel und hat sofort wie durch ein
Wunder eine zweite Chance im Leben. Genau so ein Spiegel (quasi ein
Hausmittel gegen eine verpatzte Biografie) hängt noch bis 28. Oktober in
der Galerie Krinzinger (Seilerstätte Nr. 16). Freilich wurde er noch nicht
dementsprechend verhext (das macht Keith Tyson exklusiv nur für den Käufer
des angehenden Zauberspiegels, sprich: für 63.000 Schilling). Der Spiegel
kann also noch gar nicht funktionieren. Dann allerdings wird man das
eigentlich eh völlig alltägliche Ding wohl endgültig "magisches Readymade"
nennen können. Wer weiß, vielleicht hat Marcel Duchamp (der erste
Künstler, der seine Kunst schon - fast - fix und fertig im Geschäft
gekauft hat) seine legendäre Pissoirmuschel ja auch verzaubert. Oder eher
mit einem Fluch belegt, der jeden, der hineinpinkelt, mit einer
lebenslänglichen Blasenschwäche beglückt. (Das "Original" ist dummerweise
verschollen und kann den Wahrheitsbeweis nicht mehr antreten.) Von
Keith Tyson darf man sich sowieso keine todernste "hohe Kunst" erwarten.
Das kann sehr unterhaltsam, aber auch sehr verwirrend sein. So scheint ihm
etwa zwischenzeitlich seine ausschweifende Fantasie auf den Tisch
geplumpst zu sein. Nämlich dann, wenn er dort kuriose Gebilde auftürmt,
die ihm von den Flecken auf der Tischplatte "eingeflüstert" wurden. Und am
Ende kommt dabei dann mindestens ein Garnelen-Synchronschwimmer-Team
heraus. Zweifellos ein Meister der Assoziation, der sein Publikum zu
amüsieren und zu beschäftigen weiß. Immer wieder ist eine ominöse
"Artmachine" seine Muse. Eine Kunstmaschine, die Aufträge ausspuckt. Ihr
verdankt er es auch, dass er jetzt weiß, was es kosten kann, bis eine Frau
endlich ein Gesicht hat (sofern sie sich ihr Gesicht bei einem
Nobelkosmetikhersteller besorgt). Tyson lässt für seine Make-up-Schlacht
Produkte von Chanel, Dior und Shiseido wie sauber geordnete Truppen
aufmarschieren. Ganz vorn stehen die Parfumzerstäuber. (Für den
"Giftgasangriff", damit man der gegnerischen Kampfmoral ordentlich
zusetzen kann, wenn alle vom Duft der Konkurrenz eingenebelt sind?) Den
Rest kann man sich lebhaft vorstellen: Es wird viel "Chanel No 5"
vergossen und ein Nagellackbad angerichtet werden, wenn die drei
Kosmetikmagnaten "zu den Lippenstiften rufen". Sympathischerweise lassen
Tysons erzählfreudige Objekte noch immer genug für die Einbildungskraft
des Betrachters übrig. Freilich sollte man Hermann Nitsch, Otto Mühl
und Günter Brus nicht zu nah an die Walstatt heranlassen. Nitsch würde
womöglich sofort instinktiv ein "Orgien-Mysterien-Schminken" veranstalten
und Mühl in Erinnerung an die gute, alte, gatschige Zeit zum "Turnen in
Make-up-Produkten" anstiften, während Brus am ehesten mit dem
Mascara-Bürstchen Harakiri machen würde.
Erschienen am: 10.10.2000 |
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